Gesellschaft

Die Menschen im Iran leiden. Schauen Sie nicht wieder weg!

Inmitten der weltweiten Empörung über den Tod der 22-jährigen Mahsa Amini, die von der Sittenpolizei in Teheran festgenommen wurde, weil sie angeblich ihr Kopftuch nicht korrekt trug, denkt die in London ansässige Modedesignerin Paria Farzaneh über diesen tragischen "Wachruf", ihre eigene doppelte Identität und den Traum von einem freien Iran nach.
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Alex McBride

Nach dem tragischen Tod von Mahsa Amini schaut die Welt endlich auf die Geschehnisse im Iran

Ich wuchs in der englischen Stadt Kingston Upon Hull auf, meine Familie gehörte zu einer Gemeinschaft von vielleicht 12 oder 13 anderen iranischen Familien, die alle in der gleichen Gegend wohnten und wir sprachen zu Hause kein Englisch. Jedes Jahr verbrachten wir den Sommer im Iran. Wenn man sich so sehr auf eine andere Kultur einlässt und in sie eintaucht, hat man diese andere Identität. Es ist schwer zu erklären, aber es ist fast so, als würde man zwei Leben führen, die miteinander verflochten sind.

Ich bin wirklich dankbar, dass ich so aufgewachsen bin. Ich bin so glücklich, dass ich als Kind die Kultur, die Menschen, die Gerüche, das Essen erleben durfte. Ich war völlig in eine andere Welt eingetaucht. Damals habe ich nie darüber nachgedacht, dass die Mädchen im globalen Westen mehr Freiheiten hatten als die im Iran. Es gab vielleicht ein oder zwei Momente, in denen ich etwas Unangenehmes erlebt habe... aber nicht wirklich. Ich glaube, ich war zu sehr von der Schönheit und der Kultur fasziniert. Ich habe früher "Sabrina – Total Verhext" angesehen, und die Hexen in der Geschichte hatten dieses andere Reich, das sie besuchten. Das ist fast so, wie es sich für mich als Kind angefühlt hat. Als Erwachsene bin ich mir natürlich allem bewusst. Und ich bin wütend.

Die Proteste, die wir jetzt im Iran und anderswo auf der Welt erleben – im Grunde geht es hier darum, dass Menschen, egal welcher Herkunft oder ethnischen Zugehörigkeit, nicht das Recht haben, sie selbst zu sein. Sie selbst zu sein ist nicht erlaubt. Als Iranerinnen bekommen wir das wirklich zu spüren, und das tut weh. Im Westen kann man das Gefühl haben, dass diese Dinge so weit weg von uns geschehen. Es ist schwer, sich in den Nahen Osten hineinzuversetzen, weil er sich wie eine andere Welt anfühlt. Die Menschen entscheiden sich nicht unbedingt dafür, besser darüber informiert zu werden, vielleicht weil es einfacher ist, es nicht zu sein.

Diese Frauen, die im Iran leiden, sind alle die Töchter, Schwestern oder Mütter von irgendjemandem. Ihre Grundrechte werden ihnen genommen. Fühlen Sie mit ihnen! Wir dürfen nicht übersehen, dass jemandem die Grundrechte entzogen werden, nur weil die Person nicht direkt vor uns steht. Wie kommt es, dass wir New York, Paris oder Tokio besuchen, aber nicht Teheran? 

Jetzt hat die Welt hingesehen – und es ist so wichtig, dass wir das weiterhin tun. Es ist irrsinnig, dass es 43 Jahre gedauert hat, bis der Rest der Welt anerkennt, was im Iran passiert. Ich bin so erschüttert über das, was gerade passiert... aber es fühlt sich auch irgendwie gut an. Wenn sich Menschen an mich wenden, um mir mitzuteilen, was vor sich geht, bin ich so dankbar. Wir dürfen nicht aufhören, darüber zu reden, die Zeit für Veränderungen ist jetzt. Wir wissen nicht, wie viel Zeit uns auf diesem Planeten bleibt, oder ob es nicht schon zu spät ist, um all den Schaden rückgängig zu machen, den wir als Menschen angerichtet haben. Ich möchte mich aber diesen apokalyptischen Vorstellungen nicht hingeben. Ich bin nämlich davon überzeugt: Gemeinsam können wir etwas zum Positiven verändern.

Die Proteste sind der Beweis dafür. Es gibt nichts Stärkeres als unsere Verbundenheit, die Kraft, für etwas zusammenzukommen, von dem man glaubt, dass es richtig ist. Wir wissen nicht, wie lange es dauern wird, aber es passiert, die Geschichte entfaltet sich. Als Iranerinnen spüren wir das. Wir haben Hoffnung.

So können Sie den Menschen im Iran helfen:

Mehr Sichtbarkeit

Ihre fortlaufende Aufmerksamkeit trägt zum Schutz der Demonstrant:innen bei. Indem Sie Bewusstsein für die aktuelle Situation schaffen und die Reichweite der Aktivist:innen vergrößern, zeigen Sie Solidarität und Ihren Standpunkt gegenüber der ungleichen Stellung der Geschlechter im Iran und der Menschenrecht missachtenden Behandlung der Aktivist:innen vor Ort. Diese Accounts werden von Journalist:innen, Organisationen und Personen des öffentlichen Lebens genutzt, um über das Vorgehen und die Gewalt der Sittenpolizei und des Mullah-Regimes zu berichten.

Personen des öffentlichen Lebens und sonstige Accounts: Nazanin Boniadi, Sarah Ramani, Azam Jangravi, @from____iran/
Spenden

Mit finanzieller Unterstützung können Organisationen ihre Bildungsarbeit, sprich Dokumentationen von Menschenrechtsverletzungen im Iran, fortsetzen und Forderungen an die Bundesregierung stellen. Zu den NGOs, die sich für die Missstände einsetzen, an die Sie spenden können, gehören HÁWAR.help (Forderkatalog), Center for Human Rights in Iran, Abdorrahman Boroumand Center, 6Rang (The Iranian Lesbian and Transgender Network)

Aktiv handeln

Neben Spenden und dem Teilen von Beiträgen können Sie aktiv handeln, um den Aktivist:innen im Kampf für die Freiheit zu helfen. Diese haben bereits Schwierigkeiten, die Internetsperre im Iran zu umgehen. Wie Sie helfen können? Installieren Sie "Snowflake Proxy" von Tor (Anleitung und mögliche Sicherheitsrisiken). Mit der Snowflakes-Erweiterung im Browser helfen Sie den Menschen im Iran, unzensiert auf das Internet zuzugreifen. Außerdem können Sie Petitionen unterschreiben und Abgeordnete aus Ihrem Wahlkreis dazu auffordern, sich öffentlichkeitswirksam für die Gleichstellung der Geschlechter einzusetzen. Halten Sie außerdem die Augen offen nach öffentlichen Kundgebungen und Demonstrationen in ihrer Umgebung. 

Dieser Artikel erschien in ähnlicher Form ursprünglich auf Vogue.co.uk.

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