Modegeschichte

Pride und Mode: 14 queere Laufsteg-Momente, die unvergessen bleiben

Vom weiblichen Brautpaar bei Chanel bis zu Burberrys Regenbogen-Karomuster stellen wir einige der denkwürdigsten Mode-Momente vor, die als Hommage an die LGBTQ+-Community gelten.
Pride Month queerer runway chanel bräute
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Pride in der Mode: Wir feiern 14 Fashion Shows, die Queerness Sichtbarkeit gegeben haben

Mode ist seit jeher mit queerer Kultur und Geschichte verstrickt und wurde von vielen Generationen von LGBTQ+-Designer:innen entscheidend geprägt – von den Couturiers der Nachkriegszeit bis hin zu Visionären wie Rudi Gernreich, Willi Smith und Stephen Burrows. Wie Elspeth H. Brown in ihrem Buch "Work! A Queer History of Modeling" schreibt, machte Burrows’ Teilnahme an dem legendären Wettkampf zwischen französischen und amerikanischen Brands in Versailles 1973 "das weiße Modepublikum mit einer Energie bekannt, die lange Zeit ein Markenzeichen der Shows Schwarzer Designer:innen war, produziert für ein Schwarzes Publikum, inklusive der überschwänglichen Pose am Ende des Laufstegs, die als 'Vogueing' bekannt wurde."

Diese wechselseitige Beziehung wird, nachdem sie lange skandalisiert wurde, seit einigen Jahrzehnten offen anerkannt und wertgeschätzt. Aber nach Shows, die zu ihrer Zeit als "Aufreger" galten, gibt es nun anderen Diskussionsstoff: Die Frage, inwiefern die Modebranche die queere Kultur und die Pride-Bewegung seit einigen Jahren kommerzialisiert oder nicht, wird die Branche wohl noch länger beschäftigen.

Wir haben zum Pride Month einige der besten und denkwürdigsten Runway-Momente zusammengestellt, in denen queere Individuen, Bewegungen und Communities aufrichtig gefeiert wurden.

1. Thierry Mugler Frühjahr/Sommer 1992

Dragkünstlerin Lypsinka für Thierry Mugler

Condé Nast Archive

Thierry Muglers überbordende, Grenzen überschreitende Ästhetik hat uns viele prägende Laufsteg-Momente beschert, in denen der queere Gedanke offen lesbar war. Für seine Frühjahr/Sommer-Show 1992 im Century Plaza Hotel in Los Angeles verpflichtete Mugler beispielsweise die Dragkünstlerin Lypsinka, deren Performance-Stil unter anderem vom alten Hollywood (Schauspielerin Joan Crawford) und der High Fashion (Model Dovima aus den 1950ern) inspiriert ist, um für ihn vier verschiedene Outfits in Form eines Lipsyncs zu präsentieren. Jedes Outfit wurde mit einer überschwänglichen Geste entfernt, um ein anderes darunter zum Vorschein zu bringen. Beginnend mit einem 50s-meets-80s-Power-Suit und endend mit einem schwarzen Slip Dress, war es eine spektakuläre Aufführung, die nur ein Beispiel für den komplexen Austausch zwischen Mode und Drag darstellt.

2. Walter Van Beirendonck Frühjahr/Sommer 1996

Walter Van Beirendonck am Ende seiner Show

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Die AIDS-Krise hatte einen tiefgreifenden Einfluss auf die Modewelt, und der Schmerz durch Schweigen und Scham über die erlittenen Verluste noch verstärkt. Der belgische Designer Walter Van Beirendonck, der Provokation stets willkommen hieß und sich dem Mantel des Stillschweigens widersetzen wollte, lieferte mit seiner Kollektion "Killer/Astral Travel/4D-Hi-D" von 1996 eine explizite Ansage. Die Show, die den Wert von Freiheit und Rebellion im queeren Nachtleben und im Sex feierte, zeigte leuchtende Farben, viel PVC (eine Anspielung auf Fetischkleidung, aber auch auf Safer Sex) und Masken in Form von Furzkissen mit Slogans darauf wie "Get Off My Dick" und "Blow Job".

3. Jean Paul Gaultier Haute Couture Frühjahr/Sommer 1998

Tanel Bedrossiantz für Jean Paul Gaultier

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In der Riege der großen Designer:innen ist das Enfant terrible Jean Paul Gaultier vor allem für seine konzertierte Adaption und Würdigung der queeren Ästhetik bekannt: 1985 etwa steckte er Männer in Röcke, damals ein Skandal, zudem griff er wiederholt auf das homoerotisch aufgeladene Motiv des muskulösen Marinière (Matrosen) zurück. Im Laufe der Jahre arbeitete Gaultier auch mit seiner Muse Tanel Bedrossiantz zusammen, mit verschiedenen visuell prägenden Resultaten. In seiner vom Zeitalter der Aufklärung beeinflussten Frühjahr/Sommer-Couture-Show 1998 erschien Bedrossiantz in einem reich gerüschten Kleid mit einem engen Korsett, das er über einem weißen Hemd und einer weißen Krawatte trug – ein bleibendes Bild, das es in den Katalog der Met-Ausstellung "Camp: Notes on Fashion" von 2019 schaffte.

4. Alexander McQueen Herbst/Winter 1998/99

Finale der Alexander McQueen Herbst/Winter-Show 1998/99

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Jeder queere Mode-Moment ist ebenso eine Geschichte von augenzwinkernden Anspielungen und impliziten Bedeutungen, wie die explizite Auseinandersetzung mit Begehren und Geschlechteridentität – insbesondere angesichts der Verschwiegenheit, die das persönliche Leben vieler queerer Ikonen lange umgab. Alexander McQueens Herbst/Winter-Kollektion 1998/99 – eine dunkle, hitzige Vision von Metall-Mesh, Erdtönen und eckigen Schultern – wurde von Jeanne d'Arc inspiriert. Die katholische Märtyrerin, die sich als Mann kleidete, wurde oft als eine proto-queere Figur gelesen, sei es von Vita Sackville-West, die 1936 in ihrem Buch "Jeanne d’Arc – Die Jungfrau von Orleans" über ihre Sexualität spekulierte; oder in neueren Schriften über Jeanne d’Arcs potenzielle Transidentität. Obwohl McQueen letzteres nicht adressierte, gab er nach der Show einen berühmten Kommentar dazu ab: "Jeder kann ein:e Märtyrer:in für seine Sache sein. Vielleicht war ich schon ein Märtyrer für Queerness, als ich sechs Jahre alt war."

5. Chanel Haute Couture Frühjahr/Sommer 2013

Zwei Bräute bilden das Finale der Chanel Haute Couture Frühjahr/Sommer-Show 2013

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Die Braut ist allgegenwärtig auf dem Laufsteg, oft wird mit ihr als letztem Look eine Fashion Show spektakulär geschlossen und häufig läuft sie dabei allein – ein wirkungsvolles Bild für heteronormative Sehnsüchte, "eingepackt in Weiß" (um Angela Carters Beschreibung in "Poem for a Wedding Photograph" zu verwenden). Wenn überhaupt schreitet sie in Begleitung eines gut gekleideten Bräutigams über den Runway. Aber es gibt Designer:innen, die versuchten, dieses Bild umzustürzen, wie etwa John Galliano mit seiner Frühjahr/Sommer-Kollektion 2006, die er an Paaren verschiedenster Geschlechter-Zusammensetzung zeigte, oder die Londoner Designerin Dilara Findikoglus mit ihrer Brautkollektion 2018. Im Jahr 2013 schickte Karl Lagerfeld zwei Bräute Hand in Hand den Laufsteg hinunter, um seine Couture-Kollektion zu schließen, wobei der Designer nonchalant erklärte, dies sei eine Geste zur Unterstützung von gleichgeschlechtlicher Ehe in Frankreich, ein Gesetz, das später im selben Jahr verabschiedet wurde.

6. Raf Simons Frühjahr/Sommer 2017

Fotodruck von Robert Mapplethorpe

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Eine Reihe an queeren Künstler:innen ist in den vergangenen zehn Jahren unter Designer:innen immer beliebter geworden. Vom Filmregisseur Derek Jarman (zitiert in Burberry Prorsums Frühjahr/Sommer-Kollektion 2009 und Matty Bovans Frühjahr/Sommer-Kollektion 2019) bis zum Maler David Wojnarowicz (für Jonathan Andersons Herbst/Winter-Kollektion 2020/21). Mit diesen oft radikalen Figuren geht oft eine Reflexionen über das Wesen und die Ausführung von Hommagen einher. Für seine Frühjahr/Sommer-Menswear-Show 2017 arbeitete Raf Simons eng mit dem Nachlass der Fotografielegende Robert Mapplethorpe zusammen und zeigte die monochromatischen, oft sexuell aufgeladenen Werke des Fotografen auf einer Reihe von Kleidungsstücken. Jedes Bild verwandelte den Stoff, auf den es gedruckt wurde, quasi in einen beweglichen Rahmen, wobei die Motive von homoerotischen Nahaufnahmen bis hin zu Porträts reichten. Simons holte sich zudem persönlich die Erlaubnis von jedem einzelnen der Dargestellten ein, was den Designprozess stark beeinflusste.

7. Ashish Herbst/Winter 2017/18

Frankie für Ashish

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Ashish Guptas ungenierte Designs und seine Liebe zu allem Glitzerndem formen eine funkelnde Design-DNA, die sofort zu erkennen ist. Politische Kommentare und queere Identität sind tief in Guptas Marke und seinem weiteren kreativen Schaffen verankert, sei es durch offenkundige Slogans oder unabhängige Fotoprojekte. Die Herbst/Winter-Kollektion 2017/18 des Londoner Designers war da keine Ausnahme, mit paillettenbesetzten Regenbögen und einem T-Shirt mit der Aufschrift "Why Be Blue When You Can Be Gay!". In der folgenden Saison begab sich Gupta auf dunkleres Terrain – seine Frühjahr/Sommer-Kollektion 2018 war, wie er sagte, von der Idee queerer Hexen inspiriert.

8. Burberry Frühjahr/Sommer 2018

Adwoa Aboah in Christopher Baileys letzter Burberry-Show

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Der Gebrauch der Regenbogenflagge in der Mode ist manchmal durchaus fragwürdig, was dazu führt, dass die Verwendung von queerer Bildsprache und Symbolen immer häufiger hinterfragt wird. Christopher Baileys finale Abschiedskollektion für Burberry war jedoch ein ernst gemeinter, durchdachter Lobgesang auf die LGBTQ+-Community: Bailey würdigte damit sowohl seine eigene sexuelle Identität, wie auch das Potenzial einer neuen Generation queerer Kreativer. Der Designer entwarf ein Regenbogen-Burberry-Karomuster, das zum Erfolg wurde, und spendete zugleich an drei LGBTQ+-Wohltätigkeitsorganisationen: "Albert Kennedy Trust", "The Trevor Project" und "ILGA".

9. Thom Browne Menswear Frühjahr/Sommer 2018

Smoking oder Brautkleid?

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Für seine Frühjahr/Sommer-Kollektion 2018 verbrachte Thom Browne viel Zeit damit, sich mit der Perspektive eines Kindes auf Geschlechtsidentität auseinanderzusetzen. Mit einem Paar in Gold getauchter Babyschuhe als Herzstück der Show verwies er auf die starren Erwartungen, die an Jungen gestellt werden, während sie groß werden. Zum Soundtrack aus Sally Potters Film "Orlando" von 1992 gipfelte die Show in einem Braut/Bräutigam-Hybrid aus Smoking und weißer Schleppe. Im darauffolgenden Jahr präsentierte Browne mit seiner Herbst/Winter-Show 2019/20 blockartige, grafische Drucke von Una Troubridge, einer begeisterten Monokelträgerin und Partnerin der Autorin Radclyffe Hall.

10. Wales Bonner Frühjahr/Sommer 2018

Look von Grace Wales Bonner

Indigital

Grace Wales Bonners wunderschöne Entwürfe bauen auf einem gründlichst durchdachten Gefüge an Referenzen auf, von denen sich viele mit dem Konzept von Männlichkeit, der Identität als Person of Color und der Geschichte der afrikanischen Diaspora befassen. Für ihre Frühjahr/Sommer-Kollektion 2018 stellte sie ein Begleitprogramm mit Lesematerial zur Verfügung, darunter Hilton Als' Essay über Liebe, geschichtliches Erbe und queere Schwarze Kunst mit dem Titel "James Baldwin/Jim Brown and the Children", Bilder aus "The Homoerotic Photography of Carl Van Vechten" von Anatole France und James Smalls, sowie ein Gedicht von Essex Hemphill. Als Inspirationsquelle zitierte sie auch Baldwins intensiven Roman "Giovannis Zimmer" von 1956, in dem eine tragische Liebe zwischen zwei jungen Männern erzählt wird.

11. Opening Ceremony Frühjahr/Sommer 2019

Drag-Superstar Sasha Velour

Courtesy of Opening Ceremony

Opening Ceremonys Frühjahr/Sommer-Show 2019 war ein großartiges Beispiel für ein Event, das queeren Kreativen Raum gab, um ihre eigene Vision umzusetzen. Das übliche Showformat wurde als Drag-Extravaganza neu konzipiert, die von "RuPauls Drag-Race"-Gewinner Sasha Velour produziert wurde und 40 LGBTQ+-Models und Darsteller:innen einschloss.

12. Givenchy Herbst/Winter 2019/20

Look aus der Givenchy Herbst/Winter 2019/20 Kollektion.

In den letzten Jahren sind mehrere berühmte lesbische und queere Frauen der Geschichte zu Lieblingen der Branche geworden. Man kommt kaum umhin, auf Virginia Woolf zu verweisen, ganz zu schweigen von ihrer Geliebten Vita Sackville-West. Woolfs Roman "Orlando" wurde zu einem beliebten genderfluiden Modetext: Er enthält eine Protagonistin, die sowohl Geschlecht als auch Zeit überwindet und so als Inspiration für Marken wie Burberry und Fendi diente. Doch auch andere Figuren hatten einen Moment im Rampenlicht. Annemarie Schwarzenbach – eine Schriftstellerin und Fotografin aus der Schweiz, die laut der amerikanischen Schriftstellerin Carson McCullers "ein Gesicht besaß, das mich für den Rest meines Lebens verfolgen würde" – war die Inspiration für Clare Waight Kellers Givenchy-Show für Herbst/Winter 2019/20. Kellers Kollektion kombinierte simple Schnitte mit einer androgynen Leichtigkeit.

13. Loewe Herbst/Winter 2021/22

Loewe Herbst/Winter 2021/22

Jonathan Andersons Interesse an queerer Geschichte und Kultur ist ebenso offensichtlich wie leidenschaftlich. Unter seinem eigenen Label JW Anderson hat er von Tom of Finland inspirierte Kollektionen herausgebracht und Shows auf Grindr gestreamt. Als Kreativdirektor bei Loewe begab er sich auf eine Odyssee durch die Kataloge verschiedener queerer New Yorker Künstler:innen wie David Wojnarowicz, Paul Thek und Joe Brainard. Letzterer bildete den zentralen Inspirationspunkt für die Herbst/Winter-Kollektion 2021/22 von Loewe. Der Dichter, Schriftsteller und Künstler Brainard ist vor allem für seine fragmentarischen Memoiren "I Remember" (1975) bekannt. Zu einem Zeitpunkt, an dem die Covid-19-Pandemie die Live-Shows auf den Laufstegen gestoppt hatte, bot Anderson eine innovative Lösung in Form einer Show-in-a-Book: Er produzierte einen wunderschönen Bildband über Brainards Arbeit als erweiterte Erklärung für eine Kollektion voller Stiefmütterchen-Drucke und Strickwaren mit den surrealen Illustrationen des Künstlers.

14. VTMNTS Herbst/Winter 2022/23

VTMNTS Herbst/Winter 2022/23

Victor VIRGILE/Getty Images

Wie würden wir nun einen queeren Laufstegmoment definieren? Zeichnet er sich durch das Casting, den Bezugspunkt, oder durch die beabsichtigte Botschaft aus? In den letzten Jahren hat die Modeindustrie einen Aufschwung von Designer:innen erlebt, die erfrischende Ansätzen zu Sexualität und Geschlecht zeigten: No Sesso, Telfar, Christopher John Rogers, Art School, Gogo Graham, Patrick Church, Ella Boucht, Nicolas Lecourt Mansion, SS Daley, Saul Nash, Hana Holquist, Daniel Fletcher, Per Gotesson und Harris Reed gehören dazu. Gleichzeitig wurden auch die Laufstege (zumindest teilweise) endlich diverser. Das Geschwisterlabel von Vetements zeigte seine Herbst/Winter-Kollektion 2022/23 mit einem All-Gender-Cast von Models, darunter eine Reihe von trans- und nicht-binären Personen. Viele von ihnen liefen – bzw. stapften getreu dem Stil der Show – zum ersten Mal über den Laufsteg.

Dieser Artikel erschien im Original auf Vogue.co.uk

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