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Bitterstoffe - Gefährlich oder gesund?

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Elixiere, Tinkturen, Shots - Bitterstoffe liegen voll im Trend. Allerlei gesundheitsfördernde Wirkungen werden ihnen nachgesagt. Wissenschaftlich belegt ist wenig davon. Tatsächlich fangen Forschende gerade erst an, zu verstehen, was Bitterstoffe alles bewirken - und vor allem, wo im Körper sie wirken. Von Maike Brzoska

Credits
Autorn dieser Folge: Maike Brzoska
Regie: Sabine Kienhöfer
Es sprach: Julia Fischer
Technik: Stefan Oberle
Redaktion: Iska Schreglmann

Im Interview:
Dr. Franziska Hanschen, Leibniz-Institut für Gemüse- und Zierpflanzenbau, Großbeeren
Prof. Maik Behrens, Leibniz-Institut für Lebensmittel-Systembiologie an der Technischen Universität München
Prof. Ute Wölfle, Abteilung Dermatologie und Venerologie des Universitätsklinikums Freiburg

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SPRECHERIN

Vor einigen Jahren gab es eine Entdeckung, die für Aufsehen in Wissenschaftskreisen sorgte. Ein US-Forscher-Team hatte - zufällig - herausgefunden, dass Bitterstoff-Rezeptoren, mit denen wir Bitteres schmecken, nicht nur auf der Zunge vorkommen, sondern überall im Körper.

01 OT (Wölfle)

Zum Beispiel im Gehirn, im Herzen, in der Leber, in der Lunge.

SPRECHERIN

Sagt die Biologin Dr. Ute Wölfle. Sie forscht in der Hautklinik des Universitätsklinikums Freiburg.

02 OT (Wölfle)

Und am Anfang hat man gedacht: Was soll das? Was braucht man Geschmacksrezeptoren in anderen Organen?

SPRECHERIN

Geschmacksrezeptoren in der Leber und in der Lunge – das klingt erst einmal kurios. Kann unsere Lunge etwa schmecken? Nein, sagt Ute Wölfle. Aber die Bitterstoffe, zum Beispiel aus Salat oder Gemüse, können an die Lunge andocken, genauer gesagt: an die Zellen der Lunge.

03 OT (Wölfle)

Es ist eine Struktur auf der Zelloberfläche, an die der Bitterstoff andockt, und der dann zu einer weiteren Reaktion führt.

Musik: Lab rat 0‘25

SPRECHERIN

Auf diese Weise können Bitterstoffe auch in der Lunge – oder in anderen Organen – eine Wirkung entfalten. Die Frage war nun: Welche?

Die überraschende Entdeckung, dass Bitterstoff-Rezeptoren überall in unserem Körper vorkommen, gab den Anstoß für viele neue wissenschaftliche Fragestellungen.

04 OT (Wölfle)

Und da wird jetzt in letzter Zeit sehr stark geforscht. So quasi jeder Forscher guckt jetzt in seinem eigenen Gebiet: Was machen da die Bitterstoff-Rezeptoren? Und was kann man da erwarten?

SPRECHERIN

Einige neue Erkenntnisse gibt es bereits. Dazu gleich mehr. Aber erst einmal muss man verstehen, was ein Bitterstoff überhaupt ist.

05 OT (Wölfle)

Ja, das ist gar nicht mal so einfach zu beantworten, weil die einzige Qualität, die einen Bitterstoff zu einem Bitterstoff macht, ist, dass er bitter schmeckt.

SPRECHERIN

Und das können, chemisch betrachtet, sehr unterschiedliche Stoffe sein.

06 OT (Wölfle)

Das kann ein Salz sein, Magnesiumsulfat, genauso wie irgendwie eine Aminosäure, Tryptophan, genauso wie Pflanzenstoffe, also Koffein vom Kaffee zum Beispiel. Oder auch Grapefruit, das wären dann eher so Saccharide. Also wirklich nur die Qualität, dass es bitter schmeckt, macht einen Bitterstoff zu einem Bitterstoff.

SPRECHERIN

Die Gruppe der Bitterstoffe ist also sehr heterogen. Und sie ist sehr groß. Wobei Forschende gar nicht genau wissen, wie groß, also wie viele Bitterstoffe es insgesamt gibt, sagt Dr. Maik Behrens. Er forscht am Leibniz-Institut für Lebensmittel-Systembiologie der Technischen Universität München.

07 OT (Behrens)

Man weiß es nicht. Man kann aber schätzen, dass es wohl deutlich über 1000 gibt.

SPRECHERIN

Das sind deutlich mehr als bei den anderen Geschmacksrichtungen, also süß, sauer, umami und salzig.

08 OT (Behrens)

Die Süßstoffe, da gibt es auch noch recht viele, so um die 100 würde ich mal sagen. Aber das ist nur ein vergleichsweiser kleiner Teil verglichen mit den Bitterstoffen.

Musik: Style analysis 0‘21

SPRECHERIN

Weil es so viele verschiedene Bitterstoffe in der Natur gibt, haben wir auch relativ viele Geschmacksrezeptoren auf der Zunge, mit denen wir Bitteres wahrnehmen können. Wenn wir Chicorée, Radicchio oder Brokkoli essen, signalisieren uns diese Rezeptoren: schmeckt bitter.

09 OT (Behrens)

Tatsächlich haben wir insgesamt so um die 25 unterschiedliche Rezeptoren für die Bitterstoffe.

SPRECHERIN

Wobei nicht jeder Mensch genau die gleichen Rezeptoren hat. Denn von einigen Rezeptoren gibt es verschiedene Varianten.

10 OT (Behrens)

Das heißt, der Rezeptor unterscheidet sich zwischen den Menschen. Der berühmteste Rezeptor, was das angeht, ist der sogenannte TAS2R38, der kommt in der menschlichen Bevölkerung in zwei verschiedenen Hauptvarianten vor. Die eine Variante wird auch die Schmecker-Variante genannt.

SPRECHERIN

Für die Träger dieser Variante schmecken zum Beispiel viele Kohlsorten bitter. Die Träger der anderen Variante, die sogenannten Nicht-Schmecker, nehmen bei Kohl hingegen keinen bitteren Geschmack wahr.

11 OT (Behrens)

Deswegen lohnt es sich nicht über Geschmack zu streiten beim Essen, weil das kann also sehr unterschiedlich wahrgenommen werden.

SPRECHERIN

Wobei die Fraktion, die den Kohl als bitter wahrnimmt, statistisch betrachtet, größer ist.

12 OT (Behrens)

Die menschliche Bevölkerung teilt sich so ungefähr in 70 Prozent Schmecker und 30 Prozent Nicht-Schmecker auf.

Musik: Microelements 0‘33

SPRECHERIN

Aber dank der übrigen Rezeptoren können auch die Nicht-Schmecker Bitterstoffe sehr gut wahrnehmen. Und das ist auch wichtig – evolutionär betrachtet sogar überlebenswichtig. Denn in grauer Vorzeit, als wir noch als Jäger und Sammlerin auf der Suche nach Nahrung durch die Natur streiften, halfen uns die Geschmacksrezeptoren dabei, Essbares von Nicht-Essbarem zu unterscheiden. Dabei war der Geschmacks-Sinn quasi die letzte Instanz.

13 OT (Behrens)

Wir haben natürlich noch unsere anderen Sinne, die helfen uns auch mit, zum Teil schon im Vorfeld. Also wir würden wahrscheinlich eine Speise, die nicht gut aussieht, überhaupt nicht in den Mund stecken. Dann würden wir wahrscheinlich dran riechen und auch da hätten wir wieder eine Warnung gegebenenfalls. Und dann die letzte Instanz ist tatsächlich unser Geschmackssinn, der entscheidet, ob wir etwas runterschlucken oder ausspucken.

Musik: Network access 0‘35

SPRECHERIN

Jede der Geschmacksrichtungen zeigt etwas anderes an. Der saure Geschmack weist darauf hin, dass Früchte unreif sind oder dass Lebensmittel bakteriell verdorben sein können. Der süße Geschmack, zum Beispiel von Früchten, zeigt an, dass das Obst reif und damit genießbar ist. Und darüber hinaus noch viele Kohlenhydrate liefert. Das war für die Menschen früher sehr wichtig, um Hungerperioden zu überstehen. Heute wird uns das – in Form von zu vielen Kalorien – eher zum Verhängnis. Und genau wie der süße und der saure Geschmack zeigt auch der bittere etwas Bestimmtes an.

14 OT (Behrens)

Der soll unsere Aufmerksamkeit darauf lenken, dass unter Umständen gesundheitsschädliche oder gar giftige Substanzen in der Nahrung sind. Evolutionär war das von großer Bedeutung. Deswegen ist es bei Kindern auch angeboren, diese Abneigung gegen bitter.

SPRECHERIN

Kinder verziehen in der Regel erst einmal das Gesicht, wenn sie etwas Bitteres probieren. Igitt, schmeckt nicht! Erst mit der Zeit lernen die meisten Menschen, Nahrungsmittel mit bitterem Geschmack zu tolerieren – oder sogar zu mögen. Das passiert durch Gewöhnung, aber auch durch gute Erfahrungen, die wir mit einem Lebensmittel im Laufe des Lebens machen.

15 OT (Behrens)

Beispielsweise wenn irgendeine Prüfung ansteht und wir noch viel lernen müssen, ist der bittere Kaffee, der uns wachhält, etwas, was mit einer positiven Wirkung verknüpft wird. Und wenn eine negative Wirkung von dem Kaffee, Sodbrennen oder ähnliches, ausbleibt, dann erwerben wir praktisch so eine Toleranz für moderat Bitteres.

Musik: Delicate information (reduziert) 0‘37

SPRECHERIN

Dennoch bleibt bei vielen Menschen zeitlebens eine gewisse Abneigung gegen Bitteres. Deshalb gibt es in Rezepten oft Tipps, wie man den bitteren Geschmack, zum Beispiel von einem Gemüse oder einem Salat, neutralisieren kann, zum Beispiel indem man Zucker oder Honig zufügt.

Dabei schmeckt unser Gemüse heute größtenteils schon sehr viel milder als früher. Denn der bittere Geschmack wurde nach und nach rausgezüchtet, weil es die meisten Menschen so lieber mögen.

Daneben wurden einige Gemüsesorten aber auch erst genießbar, nachdem die Bitterstoffe durch Züchtung stark reduziert wurden.

16 OT (Hanschen)

Man muss auch dabei bedenken, dass viele dieser Bitterstoffe halt auch eine toxische Wirkung hatten.

SPRECHERIN

Sagt die Lebensmittelchemikerin Dr. Franziska Hanschen. Sie forscht am Leibniz-Institut für Gemüse- und Zierpflanzenbau.

17 OT (Hanschen)

Das heißt, man hat das halt gezielt weggezüchtet, einmal, um das geschmacklich attraktiver zu gestalten, zum anderen aber auch, weil einige Bitterstoffe halt auch giftig sind.

SPRECHERIN

Ein Beispiel sind Kürbisgewächse, also etwa Zucchini, Gurken oder eben Kürbisse. Früher enthielten diese Gemüse-Sorten sehr viel Cucurbitacin, ein Bitterstoff, der in hohen Dosen stark giftig ist.

18 OT (Hanschen)

Und deshalb ist es gerade bei diesen Pflanzen auch wichtig, dass man da keine Züchtungsexperimente selber macht, weil es dann halt auch schon vorgekommen ist, dass quasi wieder rückzüchtet wurde und diese Bitterstoffe wieder erhöht wurden, wodurch dann Vergiftungserscheinungen immer mal wieder bei Hobbygärtnern aufgetreten sind.

Musik: Weird instructions 0‘26

SPRECHERIN

Zu Rückkreuzungen kann es beispielsweise kommen, wenn Pollen von einem giftigen Zier-Kürbis auf die Blüten der Kürbispflanze im Gemüsebeet gelangen. Der Kürbis, der nach der Befruchtung wächst, schmeckt dann ungewöhnlich bitter – und sollte auf keinen Fall gegessen werden, weil er vermutlich größere Mengen des Bitterstoffes Cucurbitacin enthält. Solche Rückkreuzungen sind aber sehr selten. In der Regel ist unser bitteres Gemüse sehr gesund – und zwar gerade, weil es bitter ist.

19 OT (Hanschen)

Es gibt durchaus Bitterstoffe, die positive Effekte für uns haben. Zum Beispiel Sesquiterpenlactone, das sind Inhaltsstoffe, die man aus dem Chicorée oder aber auch aus dem Löwenzahn kennt und die dort für den bitteren Geschmack verantwortlich sind. Die können durchaus positive Effekte für uns haben, zum Beispiel auch antimikrobiell oder auch anti-inflammatorisch, also entzündungshemmend wirken.

SPRECHERIN

Die positiven Wirkungen tun uns besonders gut, wenn wir krank sind. Und erstaunlicherweise kann dann sogar die Abneigung gegen Bitteres zeitweise abnehmen.

20 OT (Wölfle)

Wenn man erkältet ist, dann ist es ja so, dass man irgendwie einen anderen Geschmack hat. Plötzlich schmecken Einem Sachen vielleicht, die man sonst nicht so mag, auch bittere Tees. Und das liegt daran, dass Entzündungsstoffe diese Bitterstoffrezeptoren so ein bisschen modifizieren, blockieren können. Und plötzlich mag man bitter, was man sonst nicht trinken würde. Und wenn es Einem wieder besser geht und diese Entzündungsstoffe weg sind, dann will man das nicht mehr. Dann hat man wieder seinen normalen Geschmack.

SPRECHERIN

Ute Wölfle kennt das aus eigener Erfahrung.

21 OT (Wölfle)

Also zum Beispiel gibt es so einen Hustensaft, der schmeckt wirklich sehr bitter, und ich mochte den eigentlich nie. Dann hab ich gedacht bei der letzten Erkältung, ich probiere den einfach mal – und ich fand den lecker. Also das war irgendwie ganz angenehm. Und als es mir dann wieder besser ging, dachte ich: uah, das geht nicht, ich musste fast würgen. Also das ist wirklich interessant, wie der Körper, wenn es ihm guttut, dann plötzlich die auch wirklich mag und man deswegen die zu sich nehmen kann.

SPRECHERIN

Aber nicht nur bei kranken, sondern auch bei gesunden Menschen können Bitterstoffe viele positive Wirkungen haben.

22 OT (Wölfle)

Die Hauptwirkung ist eben, dass es auf den Magen-Darm-Trakt wirkt, eben die Verdauung, Fettverdauung fördert und auch einfach bei Völlegefühl gut wirkt oder den Appetit anregt. Das ist so das Hauptanwendungsgebiet, dass man es einsetzt bei der Verdauung.

Musik: Needle and twine red. 0’35

SPRECHERIN

Es gibt unzählige Arten von Magenbitter, jede Region kennt ihre eigene Version: Underberg, Lauterbacher Tropfen, Gammel Dansk, Kümmerling, Rhöntropfen. Dass Bitterstoffe gut für die Verdauung sein können, sind Erfahrungswerte aus der Naturheilkunde. Verschiedene traditionelle Heilkünste gehen außerdem davon aus, dass Bitterstoffe den Körper insgesamt stärken und vitalisieren können.

23 OT (Wölfle)

Die ayurvedische Medizin beschreibt, dass Bitterstoffe helfen, Fett zu reduzieren, das Blut zu reinigen, Muskelkraft zu tonisieren. Auch in der chinesischen traditionellen Medizin setzt man Bitterstoffe ein, so in der Ernährung, da ist es dem Element Feuer zugeordnet und es ist da eher auch für Tatendrang, für Vitalität. Und in der Klostermedizin oder in der europäischen Medizin, Paracelsus, der hat im 17. Jahrhundert ein Lebenselixier beschrieben.

SPRECHERIN

Bestehend aus Myrrhe, Bitterwurzel und Aloe.

24 OT (Wölfle)

Und daraus ist dann später das Grundrezept des Schwedenkräuters geworden. Das kennt vielleicht der ein oder andere.

SPRECHERIN

Die „Schwedenkräuter“ sind eine Mixtur, die -oft gelöst in Alkohol - innerlich oder äußerlich angewendet wird.

Musik: Odd facts 0‘32

Neben diesem naturheilkundlichen Wissen gab es in den letzten Jahren aber auch neue Erkenntnisse aus der Forschung. Denn nachdem zufällig entdeckt worden war, dass es Rezeptoren für Bitteres nicht nur auf der Zunge, sondern auch an anderen Organen gibt, fragten sich viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, welche Wirkung Bitterstoffe denn dort haben können. Dass sie eine Wirkung haben, scheint sicher zu sein.

25 OT (Wölfle)

Man weiß, wenn ein Stoff an den Rezeptor bindet, dann passiert irgendwas in der Zelle, und auch immer wieder das Gleiche. Also es ist nicht nur so jetzt ein Erfahrungswert, sondern es ist wirklich wissenschaftlich belegt.

SPRECHERIN

Die Frage war nun also: Was genau passiert, wenn ein Bitterstoff an einem Organ andockt? Die ersten Studien gab es zur Lunge.

26 OT (Wölfle)

Und plötzlich hat man festgestellt, dass die Bitterstoffe zum Beispiel in Bronchien vorkommen, und wenn dann ein Bitterstoff bindet an den Rezeptor, dann kommt es zu einer Gefäßerweiterung.

Musik: Still waiting red. 0‘47

SPRECHERIN

Was das Atmen erleichtert. Das könnte für Menschen mit Asthma oder chronischer Bronchitis hilfreich sein. Denn bei diesen Erkrankungen ist das Atmen beeinträchtigt. Die Betroffenen kriegen schlecht Luft. Bitterstoffe könnten Abhilfe schaffen. Denn inzwischen haben mehrere Studien gezeigt, dass Bitterstoffe, wenn sie inhaliert werden, die Muskulatur in der Lunge entspannen und auf diese Weise das Ein- und Ausatmen erleichtern können. Der Effekt, den Forschende gefunden haben, ist stärker als der von heutigen Asthma-Medikamenten. Deshalb rechnen Viele damit, dass es künftig Medikamente auf Grundlage der neuen Erkenntnisse geben wird.

Daneben haben Forschende herausgefunden, dass es Bitterstoff-Rezeptoren auch in der Schleimhaut der Nase gibt. Offenbar können dort ebenfalls Bitterstoffe andocken.

27 OT (Wölfle)

Wenn da ein Bitterstoff bindet, wird zum Beispiel Stickstoffmonoxid gebildet, was zum Abtöten der Bakterien führt. Gleichzeitig fangen die Flimmerhärchen im Nasenschleimepithel an, ganz wild zu schlagen und Fremdkörper, Bakterien, die werden nach außen geschleudert. Und damit hat man eigentlich einen idealen Effekt bei Atemwegserkrankungen.

SPRECHERIN

Wegen der interessanten Ergebnisse anderer Fachbereiche begann auch Ute Wölfle mit ihrem Team nachzuforschen, was Bitterstoffe in ihrem Fachgebiet, also auf der Haut, bewirken können. Die ersten Versuche waren allerdings eher ernüchternd, erzählt die Forscherin.

28 OT (Wölfle)

Wir haben gedacht, es wirkt vielleicht anti-entzündlich, was sonst viele unserer Pflanzenstoffe machen, aber der Effekt ist eher gering.

SPRECHERIN

Wissenschaft verläuft selten geradlinig, aber Wölfles Team forschte weiter. Die nächste Frage war, ob Bitteres einen Effekt hat auf den Stoffwechsel der Haut.

29 OT (Wölfle)

Und da haben wir festgestellt, dass es eben Schutzproteine für die Haut bildet und auch Lipide für die Haut, was auch für den Außenschutz wichtig ist. Und dass so die Bitterstoffe eher für den Hautschutz wichtig sind, so für die äußere Barriere.

SPRECHERIN

Dafür muss man die Bitterstoffe mithilfe von Cremes auf die Haut auftragen. Wobei man nicht irgendeinen Bitterstoff nehmen kann, denn einige können Kontakt-Allergien oder Ausschläge auslösen. Eine weitere Vermutung von Ute Wölfle war, dass junge Menschen mehr Bitterstoff-Rezeptoren haben als ältere.

30 OT (Wölfle)

Weil oft ist es ja so, im Alter nimmt irgendwas ab. Aber es ist genau umgekehrt. In jungen Jahren hat man wenige Bitterstoff-Rezeptoren und im Alter werden es viel mehr. Und es ist vielleicht eine Gegenreaktion des Körpers gegen die nachlassende Schutzwirkung. Die Haut wird ja im Alter dünner und vielleicht ist es so eine Reaktion des Körpers. Er bildet jetzt mehr Bitterstoff-Rezeptoren, dass die Barriere doch noch einigermaßen erhalten bleiben kann.

Musik: Explain simple 0‘31

SPRECHERIN

Das zeigt auch: Forschung besteht oft aus trial and error, aus Versuch und Irrtum. Und nicht jede neue Erkenntnis führt letzten Endes zu neuen Anwendungen oder Medikamenten. Einfach, weil unser Körper sehr komplex ist und Erkenntnisse auch immer mal wieder revidiert werden. Eine Schwierigkeit bei den neu entdeckten Bitter-Rezeptoren an den Organen ist, dass es eben nicht nur den einen Rezeptor gibt, sondern verschiedene.

31 OT (Wölfle)

Es gibt 25, und in dem einen Gewebe sind ein paar und im anderen Gewebe sind andere, und ein Bitterstoff kann unterschiedliche Bitterstoff-Rezeptoren aktivieren. Und das macht das Ganze relativ kompliziert.

SPRECHERIN

Deshalb sollte man wohl auch manche der neuen Studienergebnisse zum Thema Bitterstoffe mit Vorsicht genießen. Zum Beispiel gab es bereits Schlagzeilen, dass Bitteres gegen Krebs hilft, weil Forschende entdeckt haben, dass Bitterstoffe an Krebszellen andocken können. Oder dass Bitterstoffe beim Denken helfen.

32 OT (Wölfle)

Auch im Gehirn werden Bitterstoff-Rezeptoren gebildet und da konnte man feststellen, wenn man Nervenzellen mit Bitterstoffen behandelt, dass es dazu führt, dass die Nervenzellen besser vernetzt sind und man dann annehmen kann – das ist jetzt so ne Hypothese – dass es einfach beim Denken auch helfen kann.

Musik: Pending molecules 0‘38

SPRECHERIN

Hier wird die Forschung in den nächsten Jahren und Jahrzehnten zeigen, was Bitterstoffe wirklich leisten können – und was nicht.

Nichtsdestotrotz hat der Bittertrend aber heute schon die Konsumwelt erreicht. In Supermarkt-Regalen und Drogerien gibt es jede Menge Bitterstoff-Mixturen in Form von Tropfen, Tabletten oder Sprays. Bitter gleich gesund – dieser Eindruck entsteht, wenn man sich die zahlreichen Versprechungen durchliest, mit denen die Produkte beworben werden. Einige sehen diesen Hype kritisch. Zum Beispiel Maik Behrens.

33 OT (Behrens)

Ich hatte ja schon erwähnt, es gibt also eine unglaubliche Vielzahl von Bitterstoffen. Eben mindestens 1000. Viele von denen sind giftig. Und da irgendetwas zu pauschalisieren halte ich für falsch. Ja, tatsächlich sollte man die Warnung, die der bittere Geschmack Einem bietet, ernst nehmen. Und ich würde tatsächlich davon abraten, solche bitteren Nahrungsergänzungsmittel zu mir zu nehmen.

SPRECHERIN

Ganz anders ist das bei unseren gängigen bitteren Lebensmitteln, also zum Beispiel Salat, Gemüse, aber auch Kaffee oder Bitterschokolade. Da hat der Forscher keine Bedenken.

34 OT (Behrens)

Da gibt es ja sozusagen zum Teil jahrhundertelange Erfahrung, dass diese Gemüse, die wir standardmäßig konsumieren, sicher sind. Also da braucht man sich keine Sorgen machen.

SPRECHERIN

Auch Ute Wölfle findet Nahrungsergänzungsmittel mit Bitterstoffen unnötig, vor allem, weil sie meistens sehr teuer sind.

35 OT (Wölfle)

Ich denke, Bitterstoffe sind auf jeden Fall wichtig, aber es müssen keine teuren Produkte sein, die man dafür verwendet.

SPRECHERIN

Sie geht davon aus, dass der Bitter-Hype irgendwann wieder abebbt – zumindest was die überteuerten Produkte angeht.

Musik: New ideas 0‘29

36 OT (Wölfle)

Und vielleicht bleibt dann – hoffentlich – eben der bittere Tee, einfach das normale Essen, dass man wieder sagt; okay, ich esse Radicchio-Salat, weil man sich an das Bittere auch gewöhnen kann.

SPRECHERIN

Und vielleicht isst man den bitteren Salat, das bittere Gemüse ja irgendwann sogar richtig gerne.


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Elixiere, Tinkturen, Shots - Bitterstoffe liegen voll im Trend. Allerlei gesundheitsfördernde Wirkungen werden ihnen nachgesagt. Wissenschaftlich belegt ist wenig davon. Tatsächlich fangen Forschende gerade erst an, zu verstehen, was Bitterstoffe alles bewirken - und vor allem, wo im Körper sie wirken. Von Maike Brzoska

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Regie: Sabine Kienhöfer
Es sprach: Julia Fischer
Technik: Stefan Oberle
Redaktion: Iska Schreglmann

Im Interview:
Dr. Franziska Hanschen, Leibniz-Institut für Gemüse- und Zierpflanzenbau, Großbeeren
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SPRECHERIN

Vor einigen Jahren gab es eine Entdeckung, die für Aufsehen in Wissenschaftskreisen sorgte. Ein US-Forscher-Team hatte - zufällig - herausgefunden, dass Bitterstoff-Rezeptoren, mit denen wir Bitteres schmecken, nicht nur auf der Zunge vorkommen, sondern überall im Körper.

01 OT (Wölfle)

Zum Beispiel im Gehirn, im Herzen, in der Leber, in der Lunge.

SPRECHERIN

Sagt die Biologin Dr. Ute Wölfle. Sie forscht in der Hautklinik des Universitätsklinikums Freiburg.

02 OT (Wölfle)

Und am Anfang hat man gedacht: Was soll das? Was braucht man Geschmacksrezeptoren in anderen Organen?

SPRECHERIN

Geschmacksrezeptoren in der Leber und in der Lunge – das klingt erst einmal kurios. Kann unsere Lunge etwa schmecken? Nein, sagt Ute Wölfle. Aber die Bitterstoffe, zum Beispiel aus Salat oder Gemüse, können an die Lunge andocken, genauer gesagt: an die Zellen der Lunge.

03 OT (Wölfle)

Es ist eine Struktur auf der Zelloberfläche, an die der Bitterstoff andockt, und der dann zu einer weiteren Reaktion führt.

Musik: Lab rat 0‘25

SPRECHERIN

Auf diese Weise können Bitterstoffe auch in der Lunge – oder in anderen Organen – eine Wirkung entfalten. Die Frage war nun: Welche?

Die überraschende Entdeckung, dass Bitterstoff-Rezeptoren überall in unserem Körper vorkommen, gab den Anstoß für viele neue wissenschaftliche Fragestellungen.

04 OT (Wölfle)

Und da wird jetzt in letzter Zeit sehr stark geforscht. So quasi jeder Forscher guckt jetzt in seinem eigenen Gebiet: Was machen da die Bitterstoff-Rezeptoren? Und was kann man da erwarten?

SPRECHERIN

Einige neue Erkenntnisse gibt es bereits. Dazu gleich mehr. Aber erst einmal muss man verstehen, was ein Bitterstoff überhaupt ist.

05 OT (Wölfle)

Ja, das ist gar nicht mal so einfach zu beantworten, weil die einzige Qualität, die einen Bitterstoff zu einem Bitterstoff macht, ist, dass er bitter schmeckt.

SPRECHERIN

Und das können, chemisch betrachtet, sehr unterschiedliche Stoffe sein.

06 OT (Wölfle)

Das kann ein Salz sein, Magnesiumsulfat, genauso wie irgendwie eine Aminosäure, Tryptophan, genauso wie Pflanzenstoffe, also Koffein vom Kaffee zum Beispiel. Oder auch Grapefruit, das wären dann eher so Saccharide. Also wirklich nur die Qualität, dass es bitter schmeckt, macht einen Bitterstoff zu einem Bitterstoff.

SPRECHERIN

Die Gruppe der Bitterstoffe ist also sehr heterogen. Und sie ist sehr groß. Wobei Forschende gar nicht genau wissen, wie groß, also wie viele Bitterstoffe es insgesamt gibt, sagt Dr. Maik Behrens. Er forscht am Leibniz-Institut für Lebensmittel-Systembiologie der Technischen Universität München.

07 OT (Behrens)

Man weiß es nicht. Man kann aber schätzen, dass es wohl deutlich über 1000 gibt.

SPRECHERIN

Das sind deutlich mehr als bei den anderen Geschmacksrichtungen, also süß, sauer, umami und salzig.

08 OT (Behrens)

Die Süßstoffe, da gibt es auch noch recht viele, so um die 100 würde ich mal sagen. Aber das ist nur ein vergleichsweiser kleiner Teil verglichen mit den Bitterstoffen.

Musik: Style analysis 0‘21

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Weil es so viele verschiedene Bitterstoffe in der Natur gibt, haben wir auch relativ viele Geschmacksrezeptoren auf der Zunge, mit denen wir Bitteres wahrnehmen können. Wenn wir Chicorée, Radicchio oder Brokkoli essen, signalisieren uns diese Rezeptoren: schmeckt bitter.

09 OT (Behrens)

Tatsächlich haben wir insgesamt so um die 25 unterschiedliche Rezeptoren für die Bitterstoffe.

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Wobei nicht jeder Mensch genau die gleichen Rezeptoren hat. Denn von einigen Rezeptoren gibt es verschiedene Varianten.

10 OT (Behrens)

Das heißt, der Rezeptor unterscheidet sich zwischen den Menschen. Der berühmteste Rezeptor, was das angeht, ist der sogenannte TAS2R38, der kommt in der menschlichen Bevölkerung in zwei verschiedenen Hauptvarianten vor. Die eine Variante wird auch die Schmecker-Variante genannt.

SPRECHERIN

Für die Träger dieser Variante schmecken zum Beispiel viele Kohlsorten bitter. Die Träger der anderen Variante, die sogenannten Nicht-Schmecker, nehmen bei Kohl hingegen keinen bitteren Geschmack wahr.

11 OT (Behrens)

Deswegen lohnt es sich nicht über Geschmack zu streiten beim Essen, weil das kann also sehr unterschiedlich wahrgenommen werden.

SPRECHERIN

Wobei die Fraktion, die den Kohl als bitter wahrnimmt, statistisch betrachtet, größer ist.

12 OT (Behrens)

Die menschliche Bevölkerung teilt sich so ungefähr in 70 Prozent Schmecker und 30 Prozent Nicht-Schmecker auf.

Musik: Microelements 0‘33

SPRECHERIN

Aber dank der übrigen Rezeptoren können auch die Nicht-Schmecker Bitterstoffe sehr gut wahrnehmen. Und das ist auch wichtig – evolutionär betrachtet sogar überlebenswichtig. Denn in grauer Vorzeit, als wir noch als Jäger und Sammlerin auf der Suche nach Nahrung durch die Natur streiften, halfen uns die Geschmacksrezeptoren dabei, Essbares von Nicht-Essbarem zu unterscheiden. Dabei war der Geschmacks-Sinn quasi die letzte Instanz.

13 OT (Behrens)

Wir haben natürlich noch unsere anderen Sinne, die helfen uns auch mit, zum Teil schon im Vorfeld. Also wir würden wahrscheinlich eine Speise, die nicht gut aussieht, überhaupt nicht in den Mund stecken. Dann würden wir wahrscheinlich dran riechen und auch da hätten wir wieder eine Warnung gegebenenfalls. Und dann die letzte Instanz ist tatsächlich unser Geschmackssinn, der entscheidet, ob wir etwas runterschlucken oder ausspucken.

Musik: Network access 0‘35

SPRECHERIN

Jede der Geschmacksrichtungen zeigt etwas anderes an. Der saure Geschmack weist darauf hin, dass Früchte unreif sind oder dass Lebensmittel bakteriell verdorben sein können. Der süße Geschmack, zum Beispiel von Früchten, zeigt an, dass das Obst reif und damit genießbar ist. Und darüber hinaus noch viele Kohlenhydrate liefert. Das war für die Menschen früher sehr wichtig, um Hungerperioden zu überstehen. Heute wird uns das – in Form von zu vielen Kalorien – eher zum Verhängnis. Und genau wie der süße und der saure Geschmack zeigt auch der bittere etwas Bestimmtes an.

14 OT (Behrens)

Der soll unsere Aufmerksamkeit darauf lenken, dass unter Umständen gesundheitsschädliche oder gar giftige Substanzen in der Nahrung sind. Evolutionär war das von großer Bedeutung. Deswegen ist es bei Kindern auch angeboren, diese Abneigung gegen bitter.

SPRECHERIN

Kinder verziehen in der Regel erst einmal das Gesicht, wenn sie etwas Bitteres probieren. Igitt, schmeckt nicht! Erst mit der Zeit lernen die meisten Menschen, Nahrungsmittel mit bitterem Geschmack zu tolerieren – oder sogar zu mögen. Das passiert durch Gewöhnung, aber auch durch gute Erfahrungen, die wir mit einem Lebensmittel im Laufe des Lebens machen.

15 OT (Behrens)

Beispielsweise wenn irgendeine Prüfung ansteht und wir noch viel lernen müssen, ist der bittere Kaffee, der uns wachhält, etwas, was mit einer positiven Wirkung verknüpft wird. Und wenn eine negative Wirkung von dem Kaffee, Sodbrennen oder ähnliches, ausbleibt, dann erwerben wir praktisch so eine Toleranz für moderat Bitteres.

Musik: Delicate information (reduziert) 0‘37

SPRECHERIN

Dennoch bleibt bei vielen Menschen zeitlebens eine gewisse Abneigung gegen Bitteres. Deshalb gibt es in Rezepten oft Tipps, wie man den bitteren Geschmack, zum Beispiel von einem Gemüse oder einem Salat, neutralisieren kann, zum Beispiel indem man Zucker oder Honig zufügt.

Dabei schmeckt unser Gemüse heute größtenteils schon sehr viel milder als früher. Denn der bittere Geschmack wurde nach und nach rausgezüchtet, weil es die meisten Menschen so lieber mögen.

Daneben wurden einige Gemüsesorten aber auch erst genießbar, nachdem die Bitterstoffe durch Züchtung stark reduziert wurden.

16 OT (Hanschen)

Man muss auch dabei bedenken, dass viele dieser Bitterstoffe halt auch eine toxische Wirkung hatten.

SPRECHERIN

Sagt die Lebensmittelchemikerin Dr. Franziska Hanschen. Sie forscht am Leibniz-Institut für Gemüse- und Zierpflanzenbau.

17 OT (Hanschen)

Das heißt, man hat das halt gezielt weggezüchtet, einmal, um das geschmacklich attraktiver zu gestalten, zum anderen aber auch, weil einige Bitterstoffe halt auch giftig sind.

SPRECHERIN

Ein Beispiel sind Kürbisgewächse, also etwa Zucchini, Gurken oder eben Kürbisse. Früher enthielten diese Gemüse-Sorten sehr viel Cucurbitacin, ein Bitterstoff, der in hohen Dosen stark giftig ist.

18 OT (Hanschen)

Und deshalb ist es gerade bei diesen Pflanzen auch wichtig, dass man da keine Züchtungsexperimente selber macht, weil es dann halt auch schon vorgekommen ist, dass quasi wieder rückzüchtet wurde und diese Bitterstoffe wieder erhöht wurden, wodurch dann Vergiftungserscheinungen immer mal wieder bei Hobbygärtnern aufgetreten sind.

Musik: Weird instructions 0‘26

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Zu Rückkreuzungen kann es beispielsweise kommen, wenn Pollen von einem giftigen Zier-Kürbis auf die Blüten der Kürbispflanze im Gemüsebeet gelangen. Der Kürbis, der nach der Befruchtung wächst, schmeckt dann ungewöhnlich bitter – und sollte auf keinen Fall gegessen werden, weil er vermutlich größere Mengen des Bitterstoffes Cucurbitacin enthält. Solche Rückkreuzungen sind aber sehr selten. In der Regel ist unser bitteres Gemüse sehr gesund – und zwar gerade, weil es bitter ist.

19 OT (Hanschen)

Es gibt durchaus Bitterstoffe, die positive Effekte für uns haben. Zum Beispiel Sesquiterpenlactone, das sind Inhaltsstoffe, die man aus dem Chicorée oder aber auch aus dem Löwenzahn kennt und die dort für den bitteren Geschmack verantwortlich sind. Die können durchaus positive Effekte für uns haben, zum Beispiel auch antimikrobiell oder auch anti-inflammatorisch, also entzündungshemmend wirken.

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Die positiven Wirkungen tun uns besonders gut, wenn wir krank sind. Und erstaunlicherweise kann dann sogar die Abneigung gegen Bitteres zeitweise abnehmen.

20 OT (Wölfle)

Wenn man erkältet ist, dann ist es ja so, dass man irgendwie einen anderen Geschmack hat. Plötzlich schmecken Einem Sachen vielleicht, die man sonst nicht so mag, auch bittere Tees. Und das liegt daran, dass Entzündungsstoffe diese Bitterstoffrezeptoren so ein bisschen modifizieren, blockieren können. Und plötzlich mag man bitter, was man sonst nicht trinken würde. Und wenn es Einem wieder besser geht und diese Entzündungsstoffe weg sind, dann will man das nicht mehr. Dann hat man wieder seinen normalen Geschmack.

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Ute Wölfle kennt das aus eigener Erfahrung.

21 OT (Wölfle)

Also zum Beispiel gibt es so einen Hustensaft, der schmeckt wirklich sehr bitter, und ich mochte den eigentlich nie. Dann hab ich gedacht bei der letzten Erkältung, ich probiere den einfach mal – und ich fand den lecker. Also das war irgendwie ganz angenehm. Und als es mir dann wieder besser ging, dachte ich: uah, das geht nicht, ich musste fast würgen. Also das ist wirklich interessant, wie der Körper, wenn es ihm guttut, dann plötzlich die auch wirklich mag und man deswegen die zu sich nehmen kann.

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Aber nicht nur bei kranken, sondern auch bei gesunden Menschen können Bitterstoffe viele positive Wirkungen haben.

22 OT (Wölfle)

Die Hauptwirkung ist eben, dass es auf den Magen-Darm-Trakt wirkt, eben die Verdauung, Fettverdauung fördert und auch einfach bei Völlegefühl gut wirkt oder den Appetit anregt. Das ist so das Hauptanwendungsgebiet, dass man es einsetzt bei der Verdauung.

Musik: Needle and twine red. 0’35

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Es gibt unzählige Arten von Magenbitter, jede Region kennt ihre eigene Version: Underberg, Lauterbacher Tropfen, Gammel Dansk, Kümmerling, Rhöntropfen. Dass Bitterstoffe gut für die Verdauung sein können, sind Erfahrungswerte aus der Naturheilkunde. Verschiedene traditionelle Heilkünste gehen außerdem davon aus, dass Bitterstoffe den Körper insgesamt stärken und vitalisieren können.

23 OT (Wölfle)

Die ayurvedische Medizin beschreibt, dass Bitterstoffe helfen, Fett zu reduzieren, das Blut zu reinigen, Muskelkraft zu tonisieren. Auch in der chinesischen traditionellen Medizin setzt man Bitterstoffe ein, so in der Ernährung, da ist es dem Element Feuer zugeordnet und es ist da eher auch für Tatendrang, für Vitalität. Und in der Klostermedizin oder in der europäischen Medizin, Paracelsus, der hat im 17. Jahrhundert ein Lebenselixier beschrieben.

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Bestehend aus Myrrhe, Bitterwurzel und Aloe.

24 OT (Wölfle)

Und daraus ist dann später das Grundrezept des Schwedenkräuters geworden. Das kennt vielleicht der ein oder andere.

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Die „Schwedenkräuter“ sind eine Mixtur, die -oft gelöst in Alkohol - innerlich oder äußerlich angewendet wird.

Musik: Odd facts 0‘32

Neben diesem naturheilkundlichen Wissen gab es in den letzten Jahren aber auch neue Erkenntnisse aus der Forschung. Denn nachdem zufällig entdeckt worden war, dass es Rezeptoren für Bitteres nicht nur auf der Zunge, sondern auch an anderen Organen gibt, fragten sich viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, welche Wirkung Bitterstoffe denn dort haben können. Dass sie eine Wirkung haben, scheint sicher zu sein.

25 OT (Wölfle)

Man weiß, wenn ein Stoff an den Rezeptor bindet, dann passiert irgendwas in der Zelle, und auch immer wieder das Gleiche. Also es ist nicht nur so jetzt ein Erfahrungswert, sondern es ist wirklich wissenschaftlich belegt.

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Die Frage war nun also: Was genau passiert, wenn ein Bitterstoff an einem Organ andockt? Die ersten Studien gab es zur Lunge.

26 OT (Wölfle)

Und plötzlich hat man festgestellt, dass die Bitterstoffe zum Beispiel in Bronchien vorkommen, und wenn dann ein Bitterstoff bindet an den Rezeptor, dann kommt es zu einer Gefäßerweiterung.

Musik: Still waiting red. 0‘47

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Was das Atmen erleichtert. Das könnte für Menschen mit Asthma oder chronischer Bronchitis hilfreich sein. Denn bei diesen Erkrankungen ist das Atmen beeinträchtigt. Die Betroffenen kriegen schlecht Luft. Bitterstoffe könnten Abhilfe schaffen. Denn inzwischen haben mehrere Studien gezeigt, dass Bitterstoffe, wenn sie inhaliert werden, die Muskulatur in der Lunge entspannen und auf diese Weise das Ein- und Ausatmen erleichtern können. Der Effekt, den Forschende gefunden haben, ist stärker als der von heutigen Asthma-Medikamenten. Deshalb rechnen Viele damit, dass es künftig Medikamente auf Grundlage der neuen Erkenntnisse geben wird.

Daneben haben Forschende herausgefunden, dass es Bitterstoff-Rezeptoren auch in der Schleimhaut der Nase gibt. Offenbar können dort ebenfalls Bitterstoffe andocken.

27 OT (Wölfle)

Wenn da ein Bitterstoff bindet, wird zum Beispiel Stickstoffmonoxid gebildet, was zum Abtöten der Bakterien führt. Gleichzeitig fangen die Flimmerhärchen im Nasenschleimepithel an, ganz wild zu schlagen und Fremdkörper, Bakterien, die werden nach außen geschleudert. Und damit hat man eigentlich einen idealen Effekt bei Atemwegserkrankungen.

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Wegen der interessanten Ergebnisse anderer Fachbereiche begann auch Ute Wölfle mit ihrem Team nachzuforschen, was Bitterstoffe in ihrem Fachgebiet, also auf der Haut, bewirken können. Die ersten Versuche waren allerdings eher ernüchternd, erzählt die Forscherin.

28 OT (Wölfle)

Wir haben gedacht, es wirkt vielleicht anti-entzündlich, was sonst viele unserer Pflanzenstoffe machen, aber der Effekt ist eher gering.

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Wissenschaft verläuft selten geradlinig, aber Wölfles Team forschte weiter. Die nächste Frage war, ob Bitteres einen Effekt hat auf den Stoffwechsel der Haut.

29 OT (Wölfle)

Und da haben wir festgestellt, dass es eben Schutzproteine für die Haut bildet und auch Lipide für die Haut, was auch für den Außenschutz wichtig ist. Und dass so die Bitterstoffe eher für den Hautschutz wichtig sind, so für die äußere Barriere.

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Dafür muss man die Bitterstoffe mithilfe von Cremes auf die Haut auftragen. Wobei man nicht irgendeinen Bitterstoff nehmen kann, denn einige können Kontakt-Allergien oder Ausschläge auslösen. Eine weitere Vermutung von Ute Wölfle war, dass junge Menschen mehr Bitterstoff-Rezeptoren haben als ältere.

30 OT (Wölfle)

Weil oft ist es ja so, im Alter nimmt irgendwas ab. Aber es ist genau umgekehrt. In jungen Jahren hat man wenige Bitterstoff-Rezeptoren und im Alter werden es viel mehr. Und es ist vielleicht eine Gegenreaktion des Körpers gegen die nachlassende Schutzwirkung. Die Haut wird ja im Alter dünner und vielleicht ist es so eine Reaktion des Körpers. Er bildet jetzt mehr Bitterstoff-Rezeptoren, dass die Barriere doch noch einigermaßen erhalten bleiben kann.

Musik: Explain simple 0‘31

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Das zeigt auch: Forschung besteht oft aus trial and error, aus Versuch und Irrtum. Und nicht jede neue Erkenntnis führt letzten Endes zu neuen Anwendungen oder Medikamenten. Einfach, weil unser Körper sehr komplex ist und Erkenntnisse auch immer mal wieder revidiert werden. Eine Schwierigkeit bei den neu entdeckten Bitter-Rezeptoren an den Organen ist, dass es eben nicht nur den einen Rezeptor gibt, sondern verschiedene.

31 OT (Wölfle)

Es gibt 25, und in dem einen Gewebe sind ein paar und im anderen Gewebe sind andere, und ein Bitterstoff kann unterschiedliche Bitterstoff-Rezeptoren aktivieren. Und das macht das Ganze relativ kompliziert.

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Deshalb sollte man wohl auch manche der neuen Studienergebnisse zum Thema Bitterstoffe mit Vorsicht genießen. Zum Beispiel gab es bereits Schlagzeilen, dass Bitteres gegen Krebs hilft, weil Forschende entdeckt haben, dass Bitterstoffe an Krebszellen andocken können. Oder dass Bitterstoffe beim Denken helfen.

32 OT (Wölfle)

Auch im Gehirn werden Bitterstoff-Rezeptoren gebildet und da konnte man feststellen, wenn man Nervenzellen mit Bitterstoffen behandelt, dass es dazu führt, dass die Nervenzellen besser vernetzt sind und man dann annehmen kann – das ist jetzt so ne Hypothese – dass es einfach beim Denken auch helfen kann.

Musik: Pending molecules 0‘38

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Hier wird die Forschung in den nächsten Jahren und Jahrzehnten zeigen, was Bitterstoffe wirklich leisten können – und was nicht.

Nichtsdestotrotz hat der Bittertrend aber heute schon die Konsumwelt erreicht. In Supermarkt-Regalen und Drogerien gibt es jede Menge Bitterstoff-Mixturen in Form von Tropfen, Tabletten oder Sprays. Bitter gleich gesund – dieser Eindruck entsteht, wenn man sich die zahlreichen Versprechungen durchliest, mit denen die Produkte beworben werden. Einige sehen diesen Hype kritisch. Zum Beispiel Maik Behrens.

33 OT (Behrens)

Ich hatte ja schon erwähnt, es gibt also eine unglaubliche Vielzahl von Bitterstoffen. Eben mindestens 1000. Viele von denen sind giftig. Und da irgendetwas zu pauschalisieren halte ich für falsch. Ja, tatsächlich sollte man die Warnung, die der bittere Geschmack Einem bietet, ernst nehmen. Und ich würde tatsächlich davon abraten, solche bitteren Nahrungsergänzungsmittel zu mir zu nehmen.

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Ganz anders ist das bei unseren gängigen bitteren Lebensmitteln, also zum Beispiel Salat, Gemüse, aber auch Kaffee oder Bitterschokolade. Da hat der Forscher keine Bedenken.

34 OT (Behrens)

Da gibt es ja sozusagen zum Teil jahrhundertelange Erfahrung, dass diese Gemüse, die wir standardmäßig konsumieren, sicher sind. Also da braucht man sich keine Sorgen machen.

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Auch Ute Wölfle findet Nahrungsergänzungsmittel mit Bitterstoffen unnötig, vor allem, weil sie meistens sehr teuer sind.

35 OT (Wölfle)

Ich denke, Bitterstoffe sind auf jeden Fall wichtig, aber es müssen keine teuren Produkte sein, die man dafür verwendet.

SPRECHERIN

Sie geht davon aus, dass der Bitter-Hype irgendwann wieder abebbt – zumindest was die überteuerten Produkte angeht.

Musik: New ideas 0‘29

36 OT (Wölfle)

Und vielleicht bleibt dann – hoffentlich – eben der bittere Tee, einfach das normale Essen, dass man wieder sagt; okay, ich esse Radicchio-Salat, weil man sich an das Bittere auch gewöhnen kann.

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Und vielleicht isst man den bitteren Salat, das bittere Gemüse ja irgendwann sogar richtig gerne.


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