Barbara Bauer

Am 28. Oktober 2021 ist die langj�hrige Projektleiterin der deutschen Ausgabe von Le Monde diplomatique in Berlin gestorben. Wir erinnern uns an eine wunderbare Kollegin, Chefin und Freundin

Wenn ich mich an unsere Kollegin Barbara Bauer erinnere, dann denke ich an ihre Augen. Sie waren hell und verschmitzt, genau wie Barbaras Geist hell und verschmitzt war. Wenn sie in unseren Redaktionsrunden �ber ein Thema sprach, das ihr am Herzen lag, oder �ber einen Text, der sie nicht �berzeugte, dann blitzten ihre Augen. Sie sagten: Ich bin voll und ganz und mit Begeisterung bei der Sache, und dies ist meine Meinung. Barbara h�rte stets aufmerksam zu, wenn andere etwas zu sagen hatten, und dann waren ihre Augen bald gro� und begeistert, bald pr�fend zusammengekniffen. In ihrem Blick lag intellektuelle Sch�rfe, gepaart mit zwinkernder Ironie – eine Mischung, der man sich unm�glich entziehen konnte. Barbara war ein unglaublich herzlicher Mensch, frei von jedwedem D�nkel, anderen gegen�ber aufrichtig und fair. Wir werden sie sehr vermissen. Jakob Farah

Zeichnung und Haiku von Rotraut Susanne Berner f�r Barbara

Fakten und Worte

Barbara Bauer, geborene Schulz, Tochter eines in der Forschung t�tigen Physikers, interessierte sich f�r Fakten und war Romanistin ihrer Ausbildung nach, also mit dem Handwerk der Philologie vertraut, mit Worten wie S�tzen ihr bewusstes Leben lang befasst. Noch die Wahrnehmung der politischen Gegenwarten war gepr�gt von ihrem Sinn f�r Formfragen und der Bedeutung, die Barbara ihnen zuma�. Da sie sich wie jede gute Redakteurin mit der Abkl�rung von Sachverhalten und der Formfindung besch�ftigte, teilte sie mit ihrer langj�hrigen Freundin Rotraut Susanne Berner eine, bei Barbara in der Regel eher verstohlen gepflegte, Passion f�r die Poesie, zumal die zeitgen�ssische Lyrik. Ihre bevorzugte Ferienlekt�re waren Lyrik-Anthologien, aus denen sie mir die f�r sie bedeutsamen Fundst�cke gerne vorlas.W�hrend ihrer Arbeit f�r den Verlag Luchterhand, der das Werk des �sterreichischen Dichters publiziert hat, stellte sich ein Kontakt zu Ernst Jandl her. Ihn betreute Barbara auf seinen gelegentlichen Lesereisen durch Deutschland – Unternehmungen, w�hrend derer sie ihr Organisationsgeschick unter Beweis stellen musste, weil Jandl ein nerv�ser Reisender war. So haben die beiden viele Stunden auf Bahnsteigen miteinander verbracht, weil Jandl die Z�ge nicht verpassen wollte. Er bestand darauf, m�glichst fr�hzeitig vom Hotel abgeholt zu werden, um etwaig auftretenden Komplikationen begegnen zu k�nnen. Diese Art, unterwegs zu sein, bezeichnete Barbara fortan als „jandeln“. Wir kannten einige Leute, die jandelten, und zu Barbaras gelegentlich etwas befremdetem Am�sement geh�rte auch ich, ihr Ehemann, dazu.Als nach ihrer Krebsdiagnose feststand, dass Barbaras Tage auf Erden rasch gez�hlt sein k�nnten, begann Rotraut damit, ihr lyrische Kassiber in ein Dasein zu schicken, das ausgesprochen fragil geworden war. Eines dieser Bl�tter gibt das oben abgedruckte Faksimile wieder. Die noch aus den formativen Jahren der taz, von Klaus Wagenbach stammende Forderung, die Zeitung solle jeden Tag ein Gedicht abdrucken, fand sofort Barbaras Zustimmung. Martin Bauer

Barbara liebte es, Texte besser zu machen. Sie nannte das waschen, b�rsten, k�mmen. Sehr gute Texte kamen leicht gek�mmt zur�ck, weniger gute mussten erst durch die Waschanlage. Sie war �berzeugt davon, dass auch Zeitungsartikel interessante, anschauliche, fl�ssig lesbare – kurz: sinnliche St�cke sein konnten. Soziologisch-akademischer Jargon („v�llige Abwesenheit arbeitsrechtlicher Sicherheiten“) war ihr ein Graus, verfilzte Nominalketten und Passivkonstruktionen versuchte sie immer zu entwirren. Ihr kritischer Blick wurde mit den Jahren keineswegs milder. Wenn ein Autor das nicht hinbekam, konnte sie ihm auch schon mal mitteilen, dass „das keinen Zweck hat“. Noch im Fr�hjahr hatte Barbara Freude daran, Texte f�r den neuen Atlas durchzusehen. Um leichter lesen zu k�nnen, stellte sie die Schriftgr��e auf 18 – und begann mit dem K�mmen. Sie fand immer was. Stefan Mahlke

Es war im Mai 2004 in Paris. Die franz�sische Ausgabe von Le Monde diplomatique feierte ihren 50. Geburtstag auf dem Dach des Institut du monde arabe mit Blick auf die Seine, und wir waren zu dritt aus Berlin angereist: Barbara Bauer, Marie Luise Knott, die damalige Projektleiterin von LMd, und ich. Zwischendurch musste Barbara unbedingt noch etwas erledigen und nahm uns im str�menden Regen mit zum Boulevard Saint Germain No. 34. Die Parf�merie, damals noch einzigartig auf der Welt, sah aus wie eine Apotheke aus dem 19. Jahrhundert. Barbara wusste genau, was sie wollte, und beobachtete am�siert, wie wir jeden Duft testeten. Als ich an das Feigenwasser geriet, wusste ich noch nicht, dass ich das Eau de Toilette meines Lebens gefunden hatte, dessen Duft mich immer an Barbara erinnern w�rde. Dorothee D’Aprile

Sie hatte einen ausgepr�gten Sinn f�r Ironie. Oft am�sierten wir uns �ber Autoren (ausschlie�lich M�nner), die glaubten explizieren zu m�ssen, welche ernsthafte Absicht hinter ihrer ironischen Pointe steckt. Barbara sch�tzte Ironie, die sich selber tr�gt. Sie tolerierte sogar Flapsigkeiten am Rande des guten Geschmacks. Aber in einem Punkt verstand sie keinen Spa�: wenn ich ironisch von „meiner Chefin“ sprach. Das lie� sie nicht durch, da konnte sie richtig kiebig werden, ganz gegen ihre freundliche Art. Wie kommst du darauf, wollte sie wissen. Und sie hatte recht: Diese Ironie war hohl, hatte keinen realen Kern. Chefin zu spielen oder gar zu sein war Barbaras Sache nicht. Ich habe in meinem beruflichen Leben keine Autorit�t erlebt, die gelassenes Selbstbewusstsein derart selbstverst�ndlich mit Kollegialit�t in Einklang gebracht h�tte. Auch Barbara war „meinungsstark“, wie man heute sagt, und sie scheute keine Kontroversen. Aber die wurden mit Argumenten ausgetragen und in aller Freundschaft. Diese Freundschaft hat sie uns hinterlassen. Allein das macht sie uns unvergesslich. Niels Kadritzke

Zu ihrem 50. Geburtstag w�nschte sich Barbara ein Erlebnis. Wir hatten zwar eine gewisse Erfahrung mit gemeinsamen Erlebnissen – schon die allmonatlichen Titelsitzungen in der Redaktion waren manchmal welche, dazu die j�hrlichen internationalen Treffen des Monde-diplomatique-Netzes – aber zu diesem Anlass sollte es etwas Besonderes sein. Also machten wir einen Betriebsausflug, dergleichen war noch nie dagewesen. Der H�hepunkt dieses sehr besonderen Tages war der Moment, als Barbara auf dem voll besetzten Deck des Haveldampfers aufstand und uns zu einem Spiel animierte, bei dem man auf Stichworte hin andauernd aufstehen und sich hinsetzen musste. Ich wei� die Regeln nicht mehr. Ich wei� noch, dass wir viel lachten. Es war ein gl�cklicher Tag. Die selbstverst�ndliche Leichtigkeit und W�rme, die Barbara um sich herum entstehen lassen konnte, waren ihr Geschenk an uns zu ihrem Geburtstag. Ich habe ihr Lachen noch im Ohr. Katharina D�bler

Die druckfrische Monatsausgabe unterm Arm, fing mich Barbara im Mai 2018 am Eingang des taz-Caf�s ab. Ich war zum Bewerbungsgespr�ch eingeladen, und noch bevor wir durch die T�r waren, hatte Barbara das Eis gebrochen und mir den gr��ten Teil meiner Nervosit�t genommen – denn sie war auf diese besondere Art aufmerksam und zugewandt, dass man sich sofort gesehen f�hlt. Bei Spargel und Sauce Hollandaise erz�hlten sie und Dorothee aus dem Redaktionsalltag. Der Spargel wurde kalt, und ich wusste, ich will Teil dessen werden. In den ersten Wochen nahm mich Barbara unter ihre Fittiche, ging einzelne Formulierungen mit mir durch, fragte: „Was h�ltst du von diesem Text?“ Barbara war sehr pr�zise, mochte sie einen Text, war sie euphorisch, hielt sie nichts von einem Text, war sie klar und scharf in ihrem Urteil. Ich konnte es kaum fassen, als sie nur wenige Wochen sp�ter der Krebs wieder einholte. Ich h�tte gern noch so viel mehr von Barbara gelernt. Anna Lerch

Infografik von Adolf Buitenhaus

Ende Oktober ist es �ber meinem Hof an der Oder manchmal laut, wenn die Graug�nse auf ihrem Weg in den S�den schnatternd vorbeiziehen. Barbara hat sie in ihrer Dachgeschosswohnung auch geh�rt. L�rmende Zugv�gel in dem herbstlichen Nachthimmel �ber Berlin – sie erfreute sich an der �berraschenden Beobachtung. Unter dem Hausdach nisteten im Sommer Mauersegler. Auch Zugv�gel und Sp�tank�mmlinge. Wenn sie Ende April wieder da sind, ist endg�ltig Fr�hling. Barbara konnte zuh�ren, wie sie unter den Dachziegeln einzogen und herumscharrten, ihr gefiel die Dachdoppelnutzung. Die menschliche Arroganz anderen Lebewesen gegen�ber war ihr fremd, wurde ihr immer unverst�ndlicher. Beim Nachdenken �ber unseren n�chsten Atlas der Globalisierung – da war sie schon l�nger krank – pl�dierte sie f�r das Thema Tierrechte: Dort seien die Positionen oft ideologisch und die Meinungen festgefahren. Deswegen w�re ein unvoreingenommener und gut geschriebener Text umso wichtiger. Adolf Buitenhuis

Zeichnung und Haiku von Rotraut Susanne Berner f�r Barbara

Freundschaft und Arbeit

Es gab viele grunds�tzliche Fragen, die Barbara umtrieben. Eine davon lautete, ob die V�gel in der Stadt die Differenz zwischen Sonn- und Alltag wahrnehmen. Auf eine abschlie�ende Antwort haben wir uns nie einigen k�nnen. Zwischen Alltag und Au�erallt�glichkeit zu unterscheiden, war f�r Barbaras Existenz so wichtig, weil ihre Art der Lebensf�hrung vorsah, den Alltag durch Arbeit zu heiligen, und die Bereitschaft, sich von den anstehenden Aufgaben ganz in Anspruch nehmen zu lassen. Die Au�erallt�glichkeit hingegen heiligte Barbara durch die Pflege ihrer Freundschaften. Sie waren ihr lebens-, ja �berlebenswichtig. Besonders wertvoll waren die Freundinnen und Freunde, mit denen sie in einer Weise kooperieren konnte, die den – sei es auch nur augenblicklichen und fl�chtigen – �bergang in die Au�erallt�glichkeit gestattete. Mit anderen in Freundschaft zusammenzuarbeiten, das war Barbaras Vorstellung vom guten Leben. Dass dieses Ideal mit „den Leuten von LMd“ t�glich Wirklichkeit wurde, war ein, wenn nicht das gro�e Gl�ck ihres Lebens. Martin Bauer

Adieu, Barbara, ma ch�re

„Leg etwas in das Licht und schau, was das Licht mit dem Etwas macht.“ Barbara hatte diesen Vers von Robert Gernhardt f�r eine Blumensamen-Karte zum Neujahr 2021 ausgesucht. Ich wollte die Karte nicht, wie es in der Anleitung stand, w�ssern, in einen Topf legen und mit Erde bedecken, weil ich ihre Gr��e – „ich hoffe, dass wir uns bald leibhaftig wiedersehen“ – aufheben wollte. Und so blieb die Karte auf meinem Schreibtisch im neuen taz-Haus stehen: Leg etwas in das Licht und schau.
In das neue Haus in der Friedrichstra�e konnte Barbara im November 2018 schon nicht mehr miteinziehen. Ich erinnere mich noch, wie wir im Herbst 2016 zur Grundsteinlegung von der Charlottenstra�e aus r�bergelaufen sind, wo die Redaktion von Le Monde diplomatique (LMd) mit einigen anderen Abteilungen der taz seit 2007 untergebracht war. Es war ein warmer Septembertag, Kalle Ruch hielt eine Rede, Christian Str�bele, einer der V�ter der taz, sprach, die Senatsbaudirektorin Regula L�scher sowie der Architekt Piet Eckert. Und Barbaras Augen funkelten. Leg etwas in das Licht und schau.
Mit diesem Blick kam sie auch in die Redaktion, erst mit flinken kleinen Schritten, die man schon von Weitem erkannte, um dann zur allgemeinen Begr��ung mitten im Raum leise l�chelnd stehen zu bleiben. Oft hatte sie da schon einen Abstecher in die LPG am Mehringdamm gemacht und uns etwas mitgebracht, Topaz-�pfel, T�ten voller Blaubeeren, die sie besonders liebte, Erdbeeren oder k�stliche Birnen.
Die Umsorgerin, wie sie sich manchmal selbst nannte, wurde als �lteste von vier Geschwistern am 22. Juni 1958 in Karlsruhe geboren. In Berlin studierte sie unter anderem Romanistik und Theaterwissenschaften, besetzte H�user und war bis zu dessen Aufl�sung 1993 Kollektivistin des Rotbuch-Verlags. Zwischendurch arbeitete sie in M�nchen, bei Luchterhand, und in Frankfurt, am Lehrstuhl von Axel Honneth.
�berall kn�pfte Barbara, auf eine besondere Weise freundschaftsbegabt, Kontakte, die ein Leben lang hielten. Anfang 2000 holte sie Marie Luise Knott, die erste Leiterin der deutschen Ausgabe seit 1995, als Redakteurin zu Le Monde diplomatique. Als ich 2003 zum LMd-Team stie�, kam sie gerade aus Paris von einer Georges-Simenon-Tagung mit Claude Chabrol. Ich war zutiefst beeindruckt. In ihrem zweiten Job redigierte Barbara n�mlich die alten �bersetzungen der Maigret-Krimis. Und auch das ziemlich erfolgreich. Kurz nachdem Barbara 2006 die Projektleitung �bernommen hatte, reiste sie mit ihrem Mann Martin nach New York und kam mit einem Mottobleistift zur�ck, den sie mir auf den Schreibtisch legte: „Smart Women Get to the Point.“ Ich habe ihn bis heute nicht angespitzt. Barbara war nicht nur meine Chefin, sie war auch meine beste Arbeitsfreundin und in vielem mein Vorbild.
Ihre Freude am Redigieren der Zeitung, der Editionen und Atlanten – acht Atlanten der Globalisierung sind unter ihrer Leitung erschienen, auf deren sensationellen Erfolg sie zu Recht stolz war – hatte etwas ungeheuer Ansteckendes. Fast bis zuletzt wirkte Barbara an unserem kleinen LMd-Projekt mit, las die Protokolle, studierte die Abostatistiken, kommentierte die Comics, die uns Karoline Bofinger immer vorab schickt, und redigierte Texte sowie Infografiken. Auch wenn sie in den letzten drei Jahren nicht mehr den Redaktionsalltag mit uns teilen konnte und ich ihren Rat gelegentlich vermisste, blieb sie uns stets verbunden.

Dorothee D’Aprile

Zeitungsseite in der taz [PDF]
Zeitungsseite in der LMd [PDF]