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Bergsportlerin Laura Dahlmeier: "Ich möchte keine Achttausender besteigen – da ist mir einfach zu viel los"

Laura Dahlmeier war als Biathletin eine der Besten ihres Sports, sie ist Doppel-Olympiasiegerin und siebenfache Weltmeisterin. Mit 27 hat sie ihre Karriere beendet und ist jetzt unter anderem Bergführerin. VOGUE traf die Garmin-Markenbotschafterin zum Interview.
Bergsportlerin Laura Dahlmeier Ich möchte keine Achttausender besteigen  da ist mir einfach zu viel los
Daniel Hug

Laura Dahlmeier: die ehemalige Biathletin und heutige Bergführerin im VOGUE-Interview

"Mit Zielstrebigkeit und Willensstärke stand Laura Dahlmeier als Doppel-Olympiasiegerin und 7-fache Weltmeisterin auf dem Gipfel des Biathlon-Sports." So heißt es auf der Website der gebürtigen Garmisch-Partenkirchnerin. Nur: Was tut man als Profisportlerin, wenn man offenbar alle wichtigen Erfolge in der eigenen Disziplin gewonnen hat? Wenn es vom Gipfel aus eben nicht mehr weiter nach oben geht? Für Laura Dahlmeier bestand die Antwort darin, mit nur 25 Jahren ihre erfolgreiche Karriere zu beenden – selbstbestimmt aus eigenem Antrieb heraus und eben nicht, weil Verletzungen oder nachlassende Leistung sie dazu gezwungen hätten.

Seither sind fünf Jahre vergangen. In dieser Zeit hat Laura Dahlmeier aber nicht die Füße hochgelegt und sich entspannt – sie hat wortwörtlich neue Gipfel erklommen. Sie, die von Bergen umgeben aufgewachsen ist, hat die Leidenschaft für ebenjene felsige Natur mittlerweile zum Beruf gemacht. Schon von klein auf sei Laura Dahlmeier viel in den Bergen unterwegs gewesen, habe Berge bestiegen und Klettererfahrung gesammelt. Manchmal sei es während ihrer Profikarriere vielleicht ganz gut gewesen, dass die Trainer:innen nicht in alle Bergtouren eingeweiht gewesen seien, die sie unternommen habe, wie sie verrät. Mittlerweile ist die ehemalige Biathletin staatlich geprüfte Bergführerin und als Expertin fürs Fernsehen tätig. Auch sonst ist Laura Dahlmeier viel aktiv unterwegs – sei es mit Trailrunning, Skitouren oder Bikepacking.

Zudem ist die Sportlerin Markenbotschafterin der Active Tech Company Garmin. Deren Smartwatches begleiten Laura Dahlmeier bei zahlreichen Unternehmungen – immerhin sind sie nicht nur mit GPS und Karten ausgestattet, sondern können auch Trainingsmetriken wie Ausdauer sowie maximale Sauerstoffaufnahme tracken und zielgerichtete Trainingsempfehlungen geben. VOGUE hat die Sportlerin zum Launch der neuen Generation der Multisport-Smartwatches, der "fēnix 8", getroffen und mit ihr über Health-Tracking, Ego am Berg und die Auswirkungen des Klimawandels gesprochen.

Mittlerweile ist Laura Dahlmeier auch für das Fernsehen als Biathlon-Expertin tätig.

DeFodi Images/Getty Images

Von der Biathletin zur Bergführerin: Laura Dahlmeier im VOGUE-Interview

VOGUE: Fitness- und Health-Tracking scheint im Profisport ja besonders wichtig zu sein. Athlet:innen werden genauestens überwacht, um ihre Performance zu maximieren. Welche Rolle spielt solch ein detailliertes Tracking nach dem Ende Ihrer Profi-Karriere für Sie?

Laura Dahlmeier: Es ist ja ehrlicherweise schon eine Weile her, dass ich Biathlon auf Weltklasse-Niveau gemacht habe. Von 2013 bis 2019 wurde tatsächlich noch gar nicht so viel getrackt. Meine Daten habe ich beispielsweise immer händisch eingetragen. Vom Verband hatte ich damals eine Uhr, die hat die Kilometer und die Zeit aufgezeichnet und höchstens vielleicht noch die Herzfrequenz – das war's. Weitere Daten wie Schlafqualität oder auch Nahrungsaufnahme waren nicht wichtig, das große Ganze musste stimmen.

Schon damals habe ich mir immer gedacht, da wäre noch so viel Potenzial. Nachdem ich mit dem Profisport aufgehört habe, habe ich dann angefangen, mich intensiv mit dem Tracking auseinanderzusetzen. Einfach auch, weil es mich ja jetzt ganz direkt betrifft. Das sind keine Daten, die an irgendein Institut gehen, das diese dann irgendwann auswertet und zu irgendwelchen Schlüssen kommt. Nein, ich starte heute und kann dann direkt im Anschluss sehen, was ich gemacht habe, und das mit meinem Gefühl vergleichen. Und darauf aufbauend kann ich unmittelbar das morgige Training anpassen. Da sind keine Trainer:innen oder Wissenschaftler:innen dazwischengeschaltet – und genau das finde ich so spannend!

Trailrunning, Klettern, Skitouren, Bergsteigen, Bikepacking – Sie machen mittlerweile ja sehr viele verschiedene Sportarten und müssen nicht mehr "nur" für Biathlon trainieren. Fällt es Ihnen denn leicht, sich zwischen all diesen Möglichkeiten zu entscheiden?

Dass ich jeden Tag entscheiden kann, worauf ich Lust habe, ist für mich die ganz große Freiheit. Aber natürlich kann zu viel Freiheit auch überfordern. Bei all diesen Möglichkeiten ist der Entscheidungsprozess schon schwieriger. Mir hilft es, zu priorisieren und mich zu fragen: Was sind meine Ziele? Was möchte ich erreichen? Und daran passe ich die Aktivitäten und das Training an. Aktuell liegt mein Fokus aber schon auf dem Bergsteigen und Klettern. Als Ergänzung brauche ich aber eben auch einen Ausdauersport. Da ist es mir aber tatsächlich so ein bisschen egal, ob das nun im Sommer Joggen, Trailrunning sowie Radfahren ist oder im Winter Langlauf. Da mache ich einfach das, was gerade am besten reinpasst. Wofür die Wetterbedingungen am besten sind. Bin ich gerade in Italien und die Sonne scheint und ich habe sehr schöne Passstraßen direkt um die Ecke, dann gehe ich mit dem Rad fahren. Bin ich aber in der Stadt und das Wetter ist eher so mäßig, dann jogge ich eben.

Aber der Bergsport steht bei mir schon über allen anderen sportlichen Dingen. Dafür braucht man aber nicht nur gute Wetterverhältnisse, auch die Tourenpartner:innen sind entscheidend. Das heißt: Wenn ich weiß, kommende Woche sind das Wetter und die Bedingungen gut und es hat jemand Zeit, dann werde ich dieser Unternehmung alles andere unterordnen. Man könnte sagen: Mein persönliches Ziel ist es eigentlich, allzeit bereit zu sein, wenn sich die Gelegenheit bietet.

Wenn allzeit bereit zu sein das Ziel ist, haben Sie dann gar keine Art von Bucketlist an Routen oder Gipfeln, die Sie gern einmal machen würden?

Ich würde sagen, es ist beides. Ich habe schon gewisse Projekte im Kopf – aber man muss im Bergsport einfach sehr geduldig sein. Das ist nicht wie das Vorhaben, in einem Jahr einen Marathon zu laufen, worauf ich mich ganz konkret vorbereiten kann. Beim Bergsport, so wie ich ihn betreibe, kommt es so sehr auf die äußeren Faktoren an. Man braucht einen unheimlich klaren Kopf, gute Verhältnisse, sehr viel Vertrauen und die richtigen Partner:innen. Und: Schon eine Kleinigkeit kann einen riesigen Unterschied machen. Habe ich beim Klettern nur einen Haken falsch gesetzt, dann habe ich ein Problem. Zudem kann man nicht so viele Touren am Stück machen, weil es einfach ein enormes Risiko mit sich birgt. Deshalb ist die Geduld am Berg so wichtig. Man darf ruhig Ziele haben, aber man darf sie nicht mit so viel Nachdruck einfordern, weil sonst einfach früher oder später etwas passiert. So sehe ich das zumindest, weshalb ich ein bisschen defensiver an die Sache herangehe.

Als Profisportlerin brauchten sie einst ja auch einen gewissen Ehrgeiz, um das zu erreichen, was sie erreicht haben. Wenn am Berg die Verhältnisse nicht stimmen, muss man jedoch auch bereit sein, das eigene Ego zurückzustecken und umzudrehen oder abzubrechen. Wie leicht fällt Ihnen das?

Ich glaube, umzudrehen ist immer schwierig. Gerade wenn es vielleicht ein großes Ziel ist, ein Traum und man viel investiert hat. Zeit, Aufwand, Geld. Vielleicht fühlt es sich an dem Tag nicht gut an, oder es war schon Steinschlag im Zustieg. Es gehört dann eben auch Mut dazu, dann abzubrechen. Aber es ist doch so: Der Berg wird auch noch länger da sein. Vielleicht hat man dann irgendwann anders noch mal die Chance. Oder vielleicht habe ich auch nie wieder die Chance – aber dann ist es auch in Ordnung. Die eigene Gesundheit und das eigene Leben sind einfach wichtiger als jedes noch so hohe bergsportliche Ziel. Und was mir in solchen Momenten hilft: Ich durfte in der Vergangenheit schon so viele schöne Tage in den Bergen erleben – wenn dann mal ein Ziel nicht klappt, kann ich mich an die anderen zurückerinnern. Das ist das, was bleibt.

Daniel Hug

Sie sagen: "Der Berg wird noch länger da sein", aber die Auswirkungen des Klimawandels auf die Bergwelt sind ja unbestreitbar. Gletscher gehen immer weiter zurück, es kommt zu Erdrutschen oder Felsstürzen …

Die Welt ist im Wandel – und in den Bergen merken wir das noch früher, noch drastischer und noch direkter. Manche Hochtouren, die man vor einigen Jahren noch im Juli oder August gemacht hat, muss man jetzt viel früher machen, weil aufgrund der Wärme die Schneeschichten eher schmelzen und die Gletscherspalten eine zu hohe Gefahr darstellen oder manche Aufstiege gar nicht mehr möglich sind. Es wird auch Touren geben, die man irgendwann einfach gar nicht mehr machen kann. Klar, die Berge werden noch länger stehen, aber man muss bei manchen vielleicht auch einfach akzeptieren, dass unsere Generation und die nach uns folgenden keine Chance mehr haben werden, auf deren Gipfeln zu stehen. Ich wäre zum Beispiel immer noch gern die Nordwand an der Königsspitze geklettert, aber ich glaube, die Möglichkeit habe ich schlichtweg verpasst. Dort herrschten 2014 das letzte Mal gute Verhältnisse.

Verstehen Sie mich nicht falsch, selbstverständlich ist der Klimawandel schlimm, und wir müssen alles Menschenmögliche versuchen, unseren Planeten zu retten, aber ich sehe schon auch meine Verantwortung als Bergführerin, in all diesen Veränderungen und all dem Schlechten die positiven Seiten zu sehen. Manche Routen mögen bald nicht mehr machbar sein, dafür tun sich vielleicht an anderer Stelle neue Touren auf. Der Bergsport ist so vielseitig, und es gibt ganz viele verschiedene Facetten.

Da Sie Ihre Position als Bergführerin ansprechen: Haben Sie das Gefühl, als junge Frau am Berg ernst genommen zu werden, oder herrscht auch dort eine gewisse Gender Gap?

Also für mich gibt es zwischen Bergführer oder Bergführerin keine Unterschiede. Schaut man sich die Ausbildung an, wird klar: Es gibt einen Eignungstest, es gibt Prüfungen – und die sind für jede:n gleich, ganz egal welches Geschlecht. Wenn sich Gäst:innen mir anvertrauen, dann sollte ihnen demnach auch egal sein, welches Geschlecht ich habe – Hauptsache, ich kann es. Mit dieser Einstellung gehe ich auch selbst ran: Sie können mir vertrauen, denn ich habe die Skills, ich habe das gelernt, und ich kann das!

Aber: Im direkten Umgang mit den Gäst:innen merke ich schon, dass es dann doch einen Unterschied macht. Nicht in Bezug auf die Hard Skills, sondern auf die Soft Skills. Vor einiger Zeit hatte ich einen Tiefschnee-Kurs, da meinten die Gästinnen zu mir, sie hätten sich extra eine weibliche Bergführerin gewünscht, weil sie in einer rein weiblichen Gruppe sein wollten, um nicht das Gefühl zu bekommen, sich vor Männern beweisen zu müssen. Sie wollten einfach diese Sicherheit haben, nur mit Frauen zu fahren, und fanden es extrem gut, dass es nun auch immer mehr junge weibliche Bergführerinnen gibt.

In einem ARD-Beitrag zur Berglauf-WM, an der Sie Ende 2019 teilgenommen hatten, hieß es, Sie seien eine "Sportlegende im (Un)Ruhestand". Das Bild ist mir irgendwie im Kopf geblieben, und ich habe mich gefragt: Was planen Sie denn als Nächstes? Irgendwelche speziellen Berggipfel oder Routen?

Ich habe schon noch ein paar Sachen auf der Liste, aber bin kein Fan davon, das so groß zu kommunizieren (lacht). Oft ergibt es sich bei mir auch ganz spontan. Beispielsweise hatte ich mich schon lange gefragt, wie es denn wäre, hundert Kilometer am Stück zu laufen. Im vergangenen Jahr tauchte diese Frage plötzlich wieder in meinem Kopf auf, und ich dachte mir: Warum probiere ich es nicht einfach aus? Also habe ich es ein paar Tage später kurzerhand in Angriff genommen. So ist es jetzt auch. Natürlich schwebt mir schon vor, mal eine Tour im Himalaya zu machen. Oder auch in Pakistan. Ich möchte ein paar höhere Berge in Angriff nehmen. Ich sage aber auch bewusst: Ich möchte keine Achttausender besteigen – da ist mir einfach zu viel los. Und dann gibt es natürlich auch noch so viele Abenteuer in den Alpen zu erleben, so viele unentdeckte Routen …

Und vielleicht noch eine neue Sportart?

Ich habe ja eh schon das Problem, dass mir fast zu viele Sachen Spaß machen (lacht). Darum bin ich mit dem Set-up, so wie es ist, eigentlich sehr zufrieden. Aber ich suche natürlich auch immer die Herausforderung – und eine wird es noch in diesem Herbst geben. Ich werde mal wieder etwas ganz Neues ausprobieren. Es geht ums Fallschirmspringen – aber nicht so, wie man es sich vorstellt (lacht).

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