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Sinéad O'Dwyer: Wie die Gewinnerin des Zalando Visionary Awards 2024 das (überholte) Größensystem neu definiert

Die Londoner Modedesignerin Sinéad O'Dwyer denkt mit ihrem progressiven Label über die klassische Sample Size hinaus. Im VOGUE-Interview erzählt die Gewinnerin des Zalando Visionary Awards 2024, welche Herausforderungen diese Systemkritik mit sich bringt.
Sinad O'Dwyer Wie die Gewinnerin des Zalando Visionary Awards 2024 das  Größensystem neu definiert
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Sinéad O'Dwyer macht Mode für alle Körper – und gewann damit ihren Slot auf der Copenhagen Fashion Week.

Was Kleidergrößen angeht, ist die Mode ein ziemlich elitärer Zeitgenosse. Sample Size ist die allgegenwärtige Währung, die Kleidungsstücke beschreibt, die nur Menschen in einem Größenspektrum zwischen XS und S passen. Der aktuelle Hype um das Diabetesmedikament Ozempic, das eine schnelle Gewichtsreduktion verspricht, reiht sich fragwürdig mit ein. Diese fehlende Inklusivität treibt Modedesigner:innen wie Sinéad O'Dwyer an, ihre Entwürfe von Grund auf einer breiteren Masse zugänglich zu machen. Sie fertigt seit 2018 avantgardistisch-verspielte Entwürfe für weiblich gelesene und gender-nonkonforme Personen jeglicher Körperformen. Mit diesem progressiven Ansatz gewann die Londoner Modemacherin im Mai diesen Jahres den begehrten Zalando Visionary Award 2024 – und damit 50 000 Euro Preisgeld sowie die Möglichkeit, ihre Kollektion bei der Copenhagen Fashion Week im August 2024 zu präsentieren. Bei der Produktion der Show wurde sie zusätzlich von Zalando unterstützt.

Modedesignerin und Gewinnerin des Zalando Visionary Awards 2024 Sinéad O'Dwyer im VOGUE-Interview

Sinéad O'Dwyer macht Mode für alle: Paloma Elsesser, Björk, Arca und Precious Lee zählen bereits zu ihren Fans.

VOGUE: Sie waren in London bereits für Ihren bemerkenswert inklusiven Approach bekannt, der sich durch Ihr gesamtes Label zieht. Selbstverständlich wäre es kostengünstiger, nur Sample Size zu produzieren, neben all den großen Ausgaben, die Sie als unabhängiges Label stemmen müssen. Warum haben Sie sich trotzdem dafür entschieden?

Sinéad O'Dwyer: Ich habe das Label nicht mit der ersten Intention gegründet, um Geld zu verdienen. Mittlerweile konnte ich eine wirtschaftliche Basis aufbauen und wünsche mir natürlich sehr für die Zukunft, dass ich den Menschen, die für mich arbeiten, ein gutes Leben bieten kann. Ich habe wirklich viel Zeit in meine eigenen Sample Sizes investiert. Auch wenn Profit nicht meine treibende Kraft ist, ist es eher die Perspektive, die ich in der Mode durch diese Arbeit schaffen kann. Mir ist wichtig, was ich tue, und es würde sich nicht sinnvoll anfühlen, wenn ich es auf andere Weise tun würde.

Sinéad O'Dwyer Frühjahr/Sommer 2025

Sinéad O'Dwyer Frühjahr/Sommer 2025

Welche Herausforderungen sehen Sie in der Gestaltung einer so fortschrittlichen und inklusiven Brand?

Die größte Schwierigkeit ist in unserem aktuellen Modesystem verankert. Das fängt bei der geringen Zeit an, die man als Designer:in in diesem Konstrukt hat, um jedes Puzzleteil neu zu (über)denken. Auch der Casting-Prozess ist kein leichter: Es gibt nur sehr wenige Agenturen, die Curve-Models unter Vertrag haben. Dieser Bereich wächst zwar gerade, doch nur sehr, sehr langsam. Die klassische Sample Size wird erst mal weiterhin dominieren. Es gibt also viele Herausforderungen, weil die gesamte Struktur, wie wir es gelernt haben, Kollektionen aufzubauen und zu präsentieren, darauf basiert, dass alle Models die gleiche Größe haben. Genauso ist es auch im Verkauf: Einkäufer:innen der meisten Retailer interessieren sich hauptsächlich für die "klassischen" Größen von XS–L. Das System unterstützt also nicht wirklich die Struktur, in der ich arbeite – noch nicht.

Wie schaffen Sie es, auf der einen Seite sehr experimentell zu sein und einen künstlerischen Ansatz zu verfolgen, aber andererseits auch Ihre Wirtschaftlichkeit nicht zu verlieren? Gibt es ein bestimmtes Piece Ihres Labels, das diesen Ansatz verkörpert?

Das ist eine schwierige Balance – und ich weiß nicht, ob ich sie schon gefunden habe. Als kleines Label bin ich auf die Möglichkeiten angewiesen, die mir geboten werden. Eine davon war der Zalando Visionary Award 2024, den ich im Mai gewonnen habe. Ich habe vorher noch nie einen Preis gewonnen, also ist das etwas ganz Besonderes für mich. Zudem bin ich Teil von Newgen, dem Unterstützungsprogramm des British Fashion Council für junge Labels. Ich denke, es ist ziemlich typisch, dass unabhängige Brands stark auf Unterstützung angewiesen sind, weil es eine Weile dauert, bis die Kreativität mit der Rentabilität oder der Möglichkeit eines nachhaltigen Geschäfts übereinstimmt. Es muss Support geben, während das passiert, sonst ist das Überleben als Marke schwierig. Ganz persönlich denke ich, dass die Menschen meine Produkte mehr und mehr verstehen. Hilfreich ist auch mein Bestseller – ein Hemd mit eingenähtem Bustier, das gleichzeitig klassisch ist, aber dennoch einen besonderen Twist in sich trägt. Produkte wie diese werden wichtiger, denn ich kann sie immer wieder erweitern.

Sinéad O'Dwyers Bestseller ist das Hemd mit eingenähtem Bustier.

Inwiefern helfen Ihnen große Partnerschaften wie mit Zalando dabei, eine inklusive Brand zu schaffen?

Allein das Preisgeld von 50 000 Euro hilft mir wahnsinnig dabei, um in die Infrastruktur des Labels zu investieren und auch um an der Passform der neuen Kollektion zu arbeiten. Generell überhaupt in der Lage zu sein, eine neue Kollektion zu produzieren, ist als kleine Marke schon ein großer Gewinn. Für die Qualitätssteigerung und die Kommunikation um die Produkte herum ist das Budget essenziell. Der Gewinn des Awards ist also wirklich wertvoll für mich.

Würden Sie anderen Jungdesigner:innen den Mehraufwand für die Teilnahme an Wettbewerben wie dem Zalando Visionary Award ans Herz legen?

Auf jeden Fall. Besonders weil es nicht so viele gibt. Der Award von Zalando ist für mich einzigartig, weil er sich darauf konzentriert, das System zu verändern, und Brands mit Community-Approach oder einem anderen positiven Impact unterstützt. Andere Auszeichnungen konzentrieren sich oft primär auf Geschäftsstrategien und setzen voraus, dass man schon recht weit in seiner Infrastruktur ist. In meinem Fall war ich schon bei der Bewerbung ziemlich aufgeregt, weil ich das Gefühl hatte, dass das nun wirklich etwas sein könnte, bei dem ich mit meiner Herangehensweise gewinne. Trotzdem war die Überraschung dann groß.

Während ihrer Präsentation für Frühjahr/Sommer 2025 ließ O'Dwyer erstmals auf der Copenhagen Fashion Week ein blindes Model über den Runway laufen.

Sinéad O'Dwyer Frühjahr/Sommer 2025

Wo sehen Sie sich mit Ihrer Mode? Welche Wünsche haben Sie für Ihre Brand?

Meine Träume und Hoffnungen sind, dass mein Label in der Lage ist, mich und mein Team zu unterstützen und unsere vollständige Größenrange den Menschen zu bieten, die sie kaufen möchten. Es ist mir nicht wichtig, ob das Label groß wird. Das Wichtigste ist, dass es nachhaltig ist, sich selbst trägt und wir die Produkte den Menschen liefern können, für die wir sie entwerfen.

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