KOLUMNE: "DAS NEUE BLAU"

Warum Gleichstellung endlich auch von allen Männern ausgehen muss und “Das neue Blau” immer auch eine Pride-Flagge ist 

"Das neue Blau" ist zurück! In der neuen Folge seiner Kolumne verrät Fabian Hart, dass es den “richtigen” Mann gar nicht gibt und warum Pride und Gleichberechtigung ohne Repräsentation nicht funktionieren.
fabian hart das neue blau
Fabian Hartprivat

Fabian Hart über “echte” Männer und echte Gleichstellung

Wirklich jedes Gespräch für “Das Neue Blau” und meinen Podcast “Zart Bleiben” führt zu diesem einen Aha-Moment: Traditionelle Männlichkeit bedeutet immer auch die Abwertung des Weiblichen und des Queeren.

Die Gesellschaft, in der wir leben, also der Raum, den wir uns als Menschen teilen und als Gemeinschaft organisieren – sozial, wirtschaftlich, politisch – ist männlich dominiert. Das Konzept von Macht per se ist männlich geprägt und die Mehrheit derer, die in unserer Gesellschaft Macht ausüben und darin Führungspositionen einnehmen sind Männer. Genauer: heterosexuell, cisgeschlechtlich, weiß, ohne Behinderung. Diese Eigenschaften klingen mittlerweile nach “Woke-Bingo”, sind in diesem Kontext aber wichtig.

Das vorherrschende Männlichkeitsbild von dem einen starken Geschlecht führt nämlich zwangsläufig zu einem Machtverhältnis, das sämtliche Ismen wie (Hetero-)Sexismus, Rassismus und Ableismus aufrechterhält. Es legt Hierarchien von Geschlecht fest und Binarität: die Geschichte vom starken Geschlecht benötigt natürlich einen schwachen Gegenpart und das sind automatisch diejenigen, die diese Eigenschaften nicht erfüllen können. Wo Überlegene, da auch Untergeordnete.

Männlichkeit hat ein Dominanzproblem.

Die COVID-19-Pandemie verstärkt Ungerechtigkeiten und Diskriminierungen gegen Frauen wie sexualisierte Gewalt, Lohngefälle und un(ter)bezahlte Care-Arbeit, und enttarnt den feministischen Grundsatz, dass alle Geschlechter gleichwertig und gleichberechtigt sind, als längst nicht erfüllt.

Die bestehenden Geschlechterhierarchien unterdrücken aber auch queere Personen, die durch ihre Sexualität, Geschlechtsidentität und/oder ihre Perfomance von Heteronormativität abweichen. Diese Unterdrückung existiert selbst innerhalb von Männlichkeiten. Die Soziologin Raewyn Connell beschreibt das in den 1990er Jahren als “hegemoniale Männlichkeit”. Homosexuelle oder Schwarze Männer etwa sind den oben beschriebenen Männerbildern untergeordnet, gerade auch, wenn sich diese Eigenschaften überschneiden.

Traditionelle Männlichkeit ist eine Pyramidenstruktur. Sie muss ständig verteidigt werden und neu bewiesen – durch permanente Demonstration von Stärke, Abwehr von Schwäche, Bereitschaft von Risiko, Zurückhaltung aller Emotionen außer Wut, Unterdrücken von Gefühlen, etc.

Um in unserer Gesellschaft als Frau oder queere Person Erfolg zu haben und nach allgemeiner Wahrnehmung eine “Karriere”, sind diese Eigenschaften von Anführer-Mentalität in vielen Fällen Voraussetzung. Die Idee vom “Girl Boss” oder Phänomene wie das “Straight Acting” von homosexuellen Männern sind Beispiele dafür. “Was für eine knallharte Business-Frau!” oder “Man merkt ihm überhaupt nicht an, dass er schwul ist!” werden zu Komplimenten.

Auf der Suche nach Anerkennung innerhalb traditioneller Männlichkeitsbilder

In meinen Zwanzigern hatte ich eine Phase, in der ich die Anerkennung von Männerbünden suchte – beim Sport, Dating, im Job. Ich habe versucht, mich aufzupumpen, in der Redaktion eines heterosexuell ausgelegten Männermagazins zu punkten und mich nur für Jungs interessiert, die dem hypermaskulinen Ideal entsprachen von Heldenfiguren aus Filmen, Sport und der Werbung. Der Kapitalismus verkauft uns im wörtlichen Sinne Männlichkeit. Ich hab mir extra viel Mühe gegeben, zu entsprechen – fast schon als Versuch, zu überspielen, dass ich es eigentlich nicht kann. Ich habe so überperformt, dass ich zu meiner eigenen “Drag King”-Version wurde. Wobei mir immer klar war, dass ich als homosexueller, weißer Mann das traditionelle Männlichkeitsbild am ehesten imitieren kann. Nicht, weil homosexuelle Männer keine Abwertung erfahren. Ganz im Gegenteil. Homosexualität ist der Dolchstoß für traditionelle Männlichkeit. Dennoch sind homosexuelle, weiße Männer ihre größte Opposition. Ich musste mir also ganz genau überlegen, welchen Raum ich einnehmen möchte und welches Spiel spielen.

Heute weiß ich, es ist falsch den “richtigen Mann” zu spielen. Spoiler: es gibt ihn gar nicht. Es ist das Gegenteil von Geschlechtergerechtigkeit. Nicht nur, weil ich damit meine Identität unterdrücke und auch mein Recht auf freie Entfaltung meiner Persönlichkeit, sondern weil ich dann selbst beginne, nach unten zu treten und Personen anderer queerer Communities abwerte.

Pride? Von Geschlechtergleichberechtigung und Repräsentation im Jahr 2021

Mitte Mai hat der Deutsche Bundestag in einer halbstündigen Sitzung gegen den Gesetzentwurf des Selbstbestimmungsgesetz gestimmt. Das Selbstbestimmungsgesetz sollte das Transsexuellengesetz ablösen, das noch immer legitimiert, dass zum Beispiel eine Transfrau sich als psychisch kranker Mann diagnostizieren lassen muss, damit ein Gericht entscheidet, dass sie doch eine Frau ist. Das stärkt wiederum das Narrativ, Transpersonen seien krank. Noch immer gibt es Fälle von medizinisch nicht notwendigen Operationen an intergeschlechtlichen Kleinkindern. Der Gesetzentwurf wurde von Bündnis 90/Die Grünen eingereicht, einer Partei mit dem größten Frauenanteil (38 Frauen, 29 Männer) in einem Parlament, das zu knapp 70% aus männlichen Abgeordneten besteht.

Das war im Mai. Und jetzt ist Juni. Pride-Saison. Auch dieses Jahr wird der Regenbogen von so vielen Unternehmen als selbstauferlegtes Gütesiegel für Diversität installiert.

Queere Repräsentation ist wichtig, aber sie ist nicht alles, wenn sie allein darin besteht, dass Queers als Models mit edgy Hintergrundgeschichte herhalten müssen. 

Ich kritisiere hier keine Personen aus der Community in ihrer Entscheidung, Pride-Kollektionen zu bewerben, sondern Unternehmen, die Pride als trendige Zwischensaison missbrauchen und der Community nichts anderes geben, als Diversität auf Bildern und neue Kaufanreize.

In den letzten Jahren wurde ich immer wieder für Pride-Kampagnen angefragt und habe aus Erfahrungen gelernt, zwischen reinem Pinkwashing und wirklichem Engagement zu unterscheiden. Wie kann die Pride-Kampagne eines Unternehmens “Queer Liberation” gerecht werden, wenn sowohl am Set als auch in der Struktur des Unternehmens keine queeren Personen Entscheidungen treffen können?
Wie kann ein Parlament über einen Gesetzentwurf für Transpersonen entscheiden, in dem kein einziges Mitglied trans ist?

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Der Schutz queerer Personen ist noch immer nicht im Grundgesetz verankert, obwohl Gewalt und Diskriminierungen gegen queere Personen wie auch gegen Frauen steigen. Durch die COVID-19-Pandemie sind psychische Erkrankungen und häusliche Gewalt wachsende Probleme bei gleichzeitig weniger zur Verfügung stehenden Schutzräumen wie Beratungsstellen und Notunterkünften oder Orten der Zerstreuung wie Cafés und Clubs. Mehr als 80.000 Unterschriften wurden im Mai als Ergebnis der Petition #GrundgesetzFuerAlle an den Bundestag übergeben. Der berät derzeit über eine Änderung von Artikel 3 des Grundgesetzes. Neben der Abschaffung des Rassebegriffs muss auch ein Diskriminierungsschutz für queere Personen festgeschrieben werden.

Bisher ist noch nichts passiert.

Noch immer sind bi- und homosexuelle Männer und Transpersonen in Deutschland von der Blutspende ausgeschlossen, wenn sie nicht vorgeben, zwölf Monate keinen Sex gehabt zu haben.

Noch immer werden lesbische Frauen als Männerphantasie objektiviert und ihrer Sexualität wird wie auch Bisexualität, Pansexualität und Asexualität in vielen Fällen die Existenz abgesprochen.

Nichtbinäre Personen, die sich auf einem Spektrum zwischen männlich und weiblich verorten oder Genderqueere, die sich nach diesem Schema nicht festlegen lassen wollen, sind von Diskriminierungen betroffen, weil sie die traditionellen Geschlechterrollen infragestellen, die Voraussetzung für den männlichen Machtanspruch sind.

Noch immer gilt nach dem Abstammungsrecht, dass ein Baby, das in die Beziehung eines Frauenpaars hineingeboren wird, rechtlich nur das Kind der Mutter ist, die es geboren hat. Ihre Partnerin muss eine Stiefkindadoption durchführen, um auch rechtlich Mutter des Kindes zu werden, selbst wenn die Partnerinnen verheiratet sind. Im Vergleich dazu gilt ein Mann zwangsläufig als der Vater eines Kindes, wenn er verheiratet ist mit der Mutter oder die Vaterschaft einfach anerkennt. Er muss nicht der “leibliche Vater” des Kindes sein.

Die Rangoberen der Geschlechterhierarchien: Unterdrückte ihrer selbst

Das alles sind Beispiele einer cis-männlichen, heterosexuellen Unterdückungskultur gegen das Weibliche und Queere. Doch auch die Rangoberen der Geschlechterhierarchien sind Unterdrückte. Unterdrückte ihrer selbst.

Wenn Männlichkeit in ihrer traditionellen Form die stete Ablehnung aller Eigenschaften ist, die als feminin gelten, unterdrückt das zwangsläufig auch die Persönlichkeit vieler Männer und Personen, die diese Struktur als gegeben betrachten. Niemand kann nur stark oder nur schwach sein. Es gibt kein schwaches Geschlecht. Es gibt kein starkes Geschlecht. Wir tragen all diese Anteile in uns. Der Kampf um Geschlechtergerechtigkeit und Gleichstellung muss auch von Männern ausgehen und ein wichtiger Schritt ist die Überwindung der Scham, Dinge zu tun, die als weiblich gelten und damit die gängigen Geschlechterhierarchien zu enttarnen.

Was ich ganz sicher weiß, ist: Es sind die als feminin und weiblich festgelegten Attribute, die mir dabei helfen, eine gesunde Beziehung zu mir selbst aufzubauen und mit anderen zu führen. Ich halte dem rigiden Männerbild Femininität entgegen, das Zarte, Zärtliche, Sanfte, das andere Männliche. Meine Queerness. Das ist mein neues Blau und ich hoffe es wird ein Trend – nicht nur unter Frauen und Queers, sondern ebenso unter allen Männern.