Konsum versus Inspiration: Die Gen Z liebt Fashion Hauls. Aber können sie jemals nachhaltig werden?

Die Gen Z kann nicht genug davon bekommen, Creators bei der Anprobe von Kleidern zuzusehen. Früher wurden Hauls nur mit Fast Fashion in Verbindung gebracht, aber langsam findet auch Secondhand-Mode dort Platz.
Konsum versus Inspiration Die Gen Z liebt FashionHauls. Aber können sie jemals nachhaltig werden
Photo: Macy Eleni

Hauls stehen nicht mehr nur für Fast Fashion, sondern mehr und mehr auch für Secondhand- und Vintage-Mode. Doch können sie jemals wirklich dem Überkonsum entgegenwirken und grün werden?

Creator und Model Remi Bader begann während der Pandemie, wöchentlich Hauls auf TikTok zu posten. In den vergangenen zwei Jahren hat sie damit 2,1 Millionen Follower:innen gewonnen, die ihr regelmäßig dabei zusehen, wie sie Kleider von Labels wie H&M und Urban Outfitters anprobiert. "Als ich damit begann, gab es zwar schon Fashion Hauls, aber die Influencer:innen zeigten darin nur das, was ihnen gut stand", sagt sie. "Niemand zeigte auch das Unpassende, das aber einen wichtigen Bestandteil des Einkaufserlebnisses ausmacht. Also habe ich realistische Hauls geteilt."

Hauls sind heute auf allen Social-Media-Plattformen vertreten

Ursprünglich ein YouTube-Phänomen, das sogar bis in die frühen 2000er zurückreicht, sind Hauls – bei denen ein Creator einen Stapel gekaufter oder geschenkter Kleidung im Video analysiert und dabei Qualität, Stil oder Passform bewertet – heute auf fast allen Social-Media-Plattformen vertreten. Der Hashtag #haul wurde auf TikTok bereits 24,4 Milliarden Mal aufgerufen und in 2,4 Millionen Instagram-Beiträgen sowie 347 000 YouTube-Videos verwendet. Viele Influencer:innen wie Bader kaufen Kleidung mit ihrem eigenen Geld. Doch auch gesponserte Hauls sind zu einem bedeutsamen Geschäft geworden: Creators können laut einer Agenturquelle bis zu 17 000 Euro für einen Beitrag einfordern. Die Rendite wird durch Views, Engagement und die Conversion in tatsächliche Verkäufe ermittelt.

Laut Kritiker:innen führen Hauls zu einem übermäßigen Konsum

Die werblichen Hauls werden typischerweise mit großen Fast-Fashion-Unternehmen wie Shein, Zara, Boohoo und Amazon in Verbindung gebracht. #amazonfinds, der Hashtag für Amazon-Hauls, hatte bisher 26,1 Milliarden TikTok-Aufrufe, während der #sheinhaul der chinesischen Fast-Fashion-Plattform 6,4 Milliarden Aufrufe zeigte. Dies führte zu einer starken Kritik von Nachhaltigkeits-Befürworter:innen, die anmerken, dass Hauls zu übermäßigem Konsum und somit auch zu einer übermäßigen Verschwendung durch den ständigen Kauf- und Rückgabe-Zyklus führen. Einige Resale-Plattformen haben versucht, die Aufmerksamkeit der Creators auf Secondhand-Mode für ihre Hauls zu lenken, aber auch diesen Unternehmen wird von den Kritiker:innen vorgeworfen, für zusätzlichen Konsum zu sorgen.

Der Konsum der Gen Z steht in einem ständigen Spannungsfeld

Zwar ist sich ein Großteil der Gen Z der Überproduktion von Mode und deren negativer Auswirkung auf den Planeten bewusst – doch es besteht ein ständiges Spannungsfeld zwischen dem, was sie angeblich konsumieren wollen, und ihrem tatsächlichen Verhalten, sagt Julia Peterson, Senior Insights Strategist bei der US-ansässigen Jugendkultur-Agentur Archrival. "Trotz ihres Wunsches, verantwortungsbewusst einzukaufen, glaube ich, dass es auch diese andere Seite in ihnen gibt: Sie sehnen sich nach Stil und nach Produkten, die schnelles Wohlfühlen versprechen und doch erschwinglich sind", sagt sie.

Hauls dienen als Entdeckungstool und bieten Orientierung

Laut Expert:innen werden Hauls immer beliebter, weil soziale Medien für die Gen Z als Entdeckungstool dienen, so wie vorherige Generationen etwa Google nutzten. Oft probieren die Influencer:innen die Stücke an und diskutieren darüber, ob sie ihnen gefallen oder nicht, oder sie bewerten, wie ähnlich das Teil dem Bild sieht, das sie zuvor online gesehen haben. Damit liefern sie wichtige Informationen, die in einen anschließenden Kauf resultieren können. Die Gen Z kennt das Internet als ein appbasiertes Ökosystem", sagt Chris Beer, Trend Manager beim Publikumsforschungsunternehmen GWI. "Sie stöbern viel seltener online [auf Suchmaschinen oder E-Commerce-Websites] nach Produkten im Verhältnis dazu, wie viel sie letztendlich kaufen".

"YouTube-Nutzer vertrauen unseren Creators", sagt Chanel Tyler, Global Lead for Creator Partnerships (Beauty und Icons) bei YouTube. "Hauls geben ihnen die Möglichkeit, einen Einblick in all die Informationen zu erhalten, die sie persönlich für notwendig erachten, um sich für den Kauf zu entscheiden."

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Hauls locken die Unternehmen mit ihrer hohen Conversion Rate

Alyssa McKay ist ein plattformübergreifender Creator mit 9,4 Millionen Follower:innen auf TikTok und 902.000 Follower:innen auf YouTube sowie 1,8 Millionen auf Snapchat. In ihren beliebtesten Videos inszeniert sie sich als "reiches Mädchen" in Lifestyle- und Mode-Szenarien, einschließlich Hauls. Ihre erfolgreichsten sind in alltägliche Inhalte eingebettet, die zeigen, wie sie sich kleidet oder einkaufen geht: "Ich versuche, Marken vorzuschlagen, über eine Lifestyle-Integration [Haul] nachzudenken", sagt sie. "Ich habe das Gefühl, dass die Conversion Rate deutlich höher ist." McKay nutzt die Produkt-Tagging-Funktion von YouTube Shorts – die sich derzeit in der Beta-Phase befindet – und sieht eine hohe Conversion Rate bei Links, die sie in ihre Shopping-Funde in Lifestyle Hauls einbindet.

Empfehlungen realer Mitmenschen statt retuschierter Models

Ein weiterer Grund für die Attraktivität von Hauls ist, dass sie "echte Menschen" zeigen, die Kleidung anprobieren, und keine Models: "Ich komme bei meinen Zuschauer:innen gut an, weil viele von ihnen meinen Körpertyp teilen", sagt YouTube-Creator Clara Dao, die mit Brands wie Zaful und Thredup kooperiert, um gesponserte Hauls zu kreieren. Bader sagt, dass sie auch genau das Feedback von ihrer Community bekommt: Ihre Follower:innen wünschen sich Ratschläge, wie Kleidungsstücke zu ihren kurvigeren Körpern passen. Die Labels nehmen dies zur Kenntnis: Letztes Jahr stellte Bader auf TikTok eine Kollektion von Revolve vor und verkündete, dass es darin an Größen-Inklusivität mangelte. Die amerikanische Brand sah das Video und trat daraufhin an sie heran, um eine Kooperation zu starten. Die daraus resultierende Linie, die von Größe XXS bis 4X reicht, ist nun seit knapp zwei Wochen auf der Website von Revolve erhältlich.

Ist der Konsum heute schon eine Art gesellschaftlicher Sport?

Kritiker:innen argumentieren, dass Hauls zu Massenkäufen ermutigen und eine Kultur der Wegwerf-Mode begünstigen: "Hauls haben mit Gamification und dem 'Sport des Konsums' zu tun, wenn es um Mode geht. Dies ist dann eben unglaublich schwierig für diejenigen von uns, die, versuchen, die Gesellschaft dazu zu ermutigen, eine langfristige Beziehung zu Kleidern aufzubauen", sagt Maeve Galvin, Direktorin für globale Politik und Kampagnen bei der gemeinnützigen Organisation Fashion Revolution.

"Ich schaue mir [Hauls] gern an, weil es für die Mehrheit einfach ist, an die Kleidung zu kommen. Nicht jeder kann sich eine 80-Dollar-Jeans kaufen", sagt die 18-jährige Studentin Zara Mendes aus den USA.

Hauls fördern auch das Interesse an Thrifting und Slow Fashion

Dennoch gewinnen auf TikTok Hashtags wie #thrift (6,9 Milliarden Aufrufe) und #slowfashion (628,6 Millionen Aufrufe) an Zugkraft, da die Nutzer bewusster einkaufen, sagt Holly Harrison, Managerin für Markenpartnerschaften im Bereich Luxus, Mode und Einzelhandel bei TikTok. Sie setzt dabei auf beliebte Mode-Creators von TikTok wie Dendzi Ntambwe (@decadendz) und Jen Brady (@charityshopgirlcsg), die das Interesse an Thrifting und Slow Fashion weiter fördern.

Auf YouTube Shorts wurden Inhalte, die sich rund um Upcycling und Secondhand drehen, im letzten Jahr 350 Millionen Mal aufgerufen. Laut YouTube sind die Uploads mit Bezug auf diese beiden Trends in den letzten sechs Monaten um 67 Prozent gestiegen. Die Plattform arbeitet nun auch mit mehr als 40 Influencer:innen zusammen, um eine Kollektion von "Remake the Runway"-Kurzfilmen mit Upcycling- oder Secondhand-Looks zu realisieren. Sie soll während der New Yorker Fashion Week im September veröffentlicht werden. Der Trend zeigt sich auch bei den Hauls: "Wir achten sehr genau darauf, welche Interessen die Gen Z genau hat und womit sie sich am meisten beschäftigt – und Hauls sind eben etwas, das bei unserem Publikum noch immer außerordentlich gut ankommt", sagt Tyler von YouTube.

"Wir beobachten wirklich, dass sich die gesamte Haul-Kultur verändert", sagt Harrison, "Hauls sind jetzt überlegter, ja, durchdachter."

Hauls vereinen in sich Kommerz, Verbundenheit und Entertainment

Resale-Plattformen wie Depop und Thredup haben die Chance erkannt und arbeiten jetzt mit Creators zusammen, um Hauls mit Pre-loved-Mode anzubieten: "Die Gen Z nutzt Hauls als Möglichkeit, die Grenzen zwischen Kommerz, Verbundenheit und Entertainment zu verwischen", sagt Dontae Mears, Global Head of Influencers bei Depop.

Erst letztes Jahr untersuchte eine Studie von Bain & Co in Zusammenarbeit mit Depop die Konsumgewohnheiten von Depop-Nutzern aus der Gen Z und fand heraus, dass 80 Prozent soziale Medien als Inspirationsquelle anführen. "Einkaufen und sich stylen ist nicht länger ein individueller Akt, sondern eine Quelle der Interaktion, der Inspiration, des Aufbaus von Online-Beziehungen und für diejenigen, die ganze Channels rund um ihre Einkaufstouren erstellen, eine weitere Möglichkeit, online unternehmerisch tätig zu werden", fügt Mears hinzu. Depop zahlt, für die Zusammenarbeit mit Creators zwar eine Gebühr, versendet, aber niemals unaufgefordert Geschenke oder Produkte, betont Maers: "Wir ermutigen [Influencer:innen] immer dazu, etwas auszuwählen, das sie auch wieder tragen würden, um unnötigen Abfall zu vermeiden."

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Bei Thrift Hauls geht es mehr um Inspiration als den Kauf selbst

"Thrift Hauls sind anders als normale Hauls. Ich habe gar nicht alles unten verlinkt; man kann es teilweise nicht mehr kaufen", sagt Macy Eleni, auch bekannt als @blazedandglazed, die ausschließlich Secondhand- und Vintage-Hauls erstellt. Sie startete ihren YouTube-Kanal in 2019 kurz vor der Pandemie und trat kurz darauf auch TikTok bei. Inzwischen hat sie 145 000 YouTube-Abonnenten und fast 450 000 Follower auf TikTok. "Ich gebe ihnen Tipps und Tricks, wie sie ähnliche Marken und Looks auf eBay, Poshmark und Depop finden können, aber größtenteils geht es um Inspiration [und nicht um den Verkauf]", fügt sie hinzu.

"Thrift Hauls haben meine Einkaufsgewohnheiten definitiv beeinflusst", sagt Gabrielle Ragsdale, eine 18-jährige Studentin an der Universität von San Francisco und nun angehende Modedesignerin: "Fast-Fashion-Hauls sind für mich die reine Unterhaltung. Ich schaue mir immer noch aus Neugierde die Videos zu Zara und H&M und all diesen Labels an, aber ich kaufe es nicht mehr. Ich bevorzuge es, einzigartige Designs für mich zu finden."

Für Veränderung muss Überkonsum allgemein infrage gestellt werden

Leute aus der Gen Z haben vielleicht ihre Sichtweise auf die Hauls-Kultur geändert. Und Thrift Hauls mögen florieren – aber da etablierte Multimilliarden-Dollar-Konzerne wie Amazon, Shein, Zara und Boohoo immer noch tagtäglich von organischen und gesponserten Hauls profitieren, ist es ein langer Weg bis zu einer tatsächlichen Veränderung, die die Überproduktion von Mode reduziert, meint Galvin von Fashion Revolution: "Es geht nicht nur um Fast Fashion, sondern auch um die Art und Weise, wie wir Kleidung kaufen. Es gibt noch eine ganze Menge schädlicher DNA, die erst einmal korrigiert werden muss. Wir müssen dazu die gesamte Kultur des Überkonsums infrage stellen."

Dieser Artikel erschien ursprünglich auf Voguebusiness.com. Adaption von Mona Bergers.