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Die frühe DDR - Die 50er Jahre

23:21
 
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Die DDR befindet sich Anfang 1950 in einem katastrophalen Zustand. 25 Prozent aller Wohnungen sind zerstört. Auch nach Kriegsende gibt es vielerorts keinen Strom oder sauberes Wasser. Vier Millionen Flüchtlinge und Vertriebene müssen versorgt werden. Wie sah der Alltag der Menschen in der frühen DDR aus? Was prägte die 50er-Jahre und wie übte die SED ihr Macht aus? Von Bastian Wierzioch

Credits

Autor dieser Folge: Bastian Wierzioch
Regie: Kirsten Böttcher
Es sprach: Sophie Rogall
Technik: Andreas Lucke
Redaktion: Nicole Ruchlak

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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.

Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:

Sprecherin

7. Oktober 1949. Berlin Wilhelmstraße. Aus der sowjetischen Besatzungszone wird die Deutsche Demokratische Republik. Zum ersten Staatspräsidenten der DDR wird Wilhelm Pieck ernannt.

O-Ton 1

Reporter: Wilhelm Pieck eröffnet die Versammlung. Atmo: Sitzungsglocke Pieck: Bitte Platz zu nehmen! Die konstituierende Sitzung der provisorischen Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik ist eröffnet.

(Bitte runterziehen – nur kurz stehen lassen)

Sprecherin

Es ist ein schwerer Start für die junge DDR: Zu Beginn des Jahres 1950 befindet sich die ehemalige sowjetische Besatzungszone, in der ca. 16 Millionen Menschen leben, in einem katastrophalen Zustand. Städte wie Dresden oder Magdeburg wurden im Krieg großflächig bombardiert. 25 Prozent aller Wohnungen im Land sind zerstört. Vielerorts gibt es keinen Strom oder sauberes Wasser. Vier Millionen Flüchtlinge und Vertriebene müssen versorgt werden. An Russland gehen milliardenschwere Reparationszahlungen. Dafür werden komplette Industrieanlagen und insgesamt mehr als 10.000 Kilometer Eisenbahnschienen abgebaut und in die Sowjetunion gebracht.

O- Ton 2

Das war ein Jahrzehnt, das zum einen geprägt war durch die immensen Kriegszerstörungen und Kriegsverluste. Die Menschen mussten das Land wieder aufbauen. Sie trauerten um die Gefallenen.

Sprecherin

Das sagt Anna Kaminsky, die Direktorin der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur.

O- Ton 3

Es war aber auch ein Jahrzehnt, in dem die Menschen erleichtert waren, dass endlich Frieden war. Und man hoffte natürlich auch ungeschoren aus dieser Kriegszeit mit den immensen, unglaublichen Verbrechen der Nazis rauszukommen und ein normales Leben zu führen. Und kaum jemand wollte sich mit dieser Zeit damals beschäftigen.

Musik 2: Fünf … Aus: Fünf Minuten – 81245480108 – 40 Sek

Sprecherin

Hans-Joachim Hein ist im Jahr 1950 elf Jahre alt. Geboren wurde er 1939 in Frankfurt (Oder). Noch vor Kriegsende flieht der 6-Jährige Hans-Joachim mit seiner Mutter und der kleinen Schwester vor der Roten Armee nach Schleswig-Holstein. 1950 ist die kleine Familie wieder zurück in Frankfurt (Oder).

O-Ton 4

Wohnungsmäßig gab`s überall Mängel. […] Ja, für Kinder war es schon sehr interessant wegen der Ruinen. Da gab es immer was Neues zu entdecken. Und ein oder zwei hatten auch schon mal noch Leichen entdeckt also die Reste davon. (Stimme oben)

Musik 3: Ein guter Informant – Z8019960 112– 1:06 Min

Sprecherin

Viele Menschen leben damals in Massenunterkünften und Lagern – eingerichtet in ehemaligen Kasernen, Schulen, Gasthäusern, Hotels, Zwangsarbeiterlagern oder Sporthallen. Ein Großteil der Bevölkerung fühlt sich verunsichert. Wie soll es weitergehen mit Deutschland? Anfangs kursieren Gerüchte: Angeblich wollen die Alliierten alle deutschen Frauen sterilisieren oder alle Männer zur Zwangsarbeit weg bringen oder aus ganz Deutschland einen riesigen Kartoffelacker machen – als Strafe für die Verbrechen der Nationalsozialisten. Das Leid der Juden, Widerstandskämpfer, Polen oder Russen ist der Öffentlichkeit in der frühen DDR bekannt, auch weil die Gräueltaten in Kino-Filmen und Romanen thematisiert wenden – an den Oberschulen als Pflichtlektüre. Und weil die SED sich darum bemüht, das Ausmaß der Verbrechen umfassend darzustellen.

O-Ton 5

Allerdings wurde das immer verbunden mit der antifaschistischen Propaganda, die zwei kleine Manipulationen vorgenommen hat.

Sprecherin

Erklärt Udo Grashoff, Historiker am Hannah-Arend-Institut, das zur TU Dresden gehört.

O-Ton 6

Die eine Manipulation war, dass behauptet wurde, dass eigentlich der Holocaust – also den Begriff gab es damals noch nicht – aber der Massenmord an den Juden - nur so eine Art Seiteneffekt, Nebeneffekt des Nationalsozialismus gewesen wäre und das eigentliche mörderische Ziel des Nationalsozialismus die Vernichtung des Kommunismus gewesen sei. […] Und die Zweite schließt sich daran an. Dass man das Wesen des Nationalsozialismus nicht verstanden hat als ein rassistisches kolonialistisches Projekt, sondern als ein kapitalistisches, imperialistisches Projekt. […] Und damit konnte man dann auch im Kalten Krieg die gesamte westliche Welt als letztlich Bruder im Geiste des Faschismus darstellen. […] Und damit konnte man sich selbst natürlich auch moralisch als sehr hochstehend darstellen und das hat dazu geführt, dass man viele Menschen, nicht nur einfache Menschen, auch sehr viele Intellektuelle grade hinter die Fahne der SED bekommen hat.

Musik 5: Vier lyrische… aus: Fünf Minuten – 55 Sek

Sprecherin

1952 werden die 5 Bundesländer der DDR in 14 Bezirke aufgeteilt, die bis 1990 als Verwaltungseinheiten bestehen bleiben. Die kleine Familie Hein im Bezirk Frankfurt schlägt sich durch – zu dritt in einer Einzimmerwohnung. Die Toilette: im Treppenhaus. Die Kleidung: selbstgenäht. Die Mutter arbeitet in einer Gaststätte. Die Währung der DDR, die Ost-Mark, war zwar schon 1948 eingeführt worden – einen Monat nach der D-Mark im Westen -, nur zu kaufen gibt es kaum etwas. Die meisten Menschen werden durch Lebensmittelkarten versorgt – ausgegeben vom Staat. Dafür gibt es Rationen an Brot, Zucker, Salz, Tee oder Kaffee-Ersatz. Bei den Heins gibt es meistens Kartoffeln.

O-Ton 7

Das hing von vielen Zufällen ab, ob jemand Beziehungen zum schwarzen Markt hatte oder Beziehungen zu Bäckereien oder, oder. Man hat sich gegenseitig geholfen. […] und hat dann auch dazu beigetragen, dass man naja, praktisch so, einigermaßen überleben konnte. […] Ans Essen selber kann ich mich wenig erinnern. Es gab nicht viel.

O-Ton 8

Anfänglich in der sowjetisch besetzten Zone später der DDR gab es praktisch drei Säulen des Handels.

Sprecherin

Erklärt Historikerin Anna Kaminsky.

O-Ton 9

Das war zum einen der starke private Handel, der zunehmend verstaatlicht und praktisch enteignet wurde. Dann die so genannten Konsum-Läden, das waren die Läden der Konsumgenossenschaften, die es in Deutschland schon seit Ende des 19. Jahrhunderts gab. Und es gab die neu gegründete sozialistische Handelsorganisation, die HO.

Sprecherin

Das staatliche Einzelhandelsunternehmen HO - gegründet 1948 auf Weisung der Sowjets - wächst rasant. Bis 1960 werden 35.000 Geschäfte eröffnet, die knapp 40 % des landesweiten Einzelhandelsumsatzes erwirtschaften - trotz überteuerter und für viele nicht erschwinglicher Preise. Die Läden der HO werden von der Staats-Partei SED bevorzugt mit Waren beliefert.

O-Ton 10

Über die HO-Läden, die sozialistisch deklariert waren, wollte die SED Führung den Menschen im Land zeigen, dass praktisch ihre Herrschaft auch für die Menschen im Alltag sehr viele Vorteile bringen würde und dass die SED-Führung sehr gut für die Bürger im Land sorgen würde und sie auch ein besseres Warenangebot in diesen staatlichen HO-Läden vorfinden.

Musik 5: The Working class – s.o. – 35 Sek

Sprecherin

Doch der Alltag in der DDR bleibt hart. Was produziert wird, reicht nicht für eine flächendeckende Versorgung. So wie unmittelbar nach dem Krieg bauen die Menschen immer noch auf allen verfügbaren Flächen Gemüse an - auf Fensterbänken, in öffentlichen Parks, den Hausdächern. Immer noch werden Kuchen aus Kartoffelschalen und Torten aus Eicheln und Kaffeesatz gebacken. Rübenblätter dienen als Ersatz für Spinat.

O-Ton 11

Dieser Staat der Werktätigen, die Deutsche Demokratische Republik, hat zwei Klassen zur Grundlage: Die Arbeiterklasse und die Klasse der werktätigen Bauernschaft.

Sprecherin

Walter Ulbricht, die mächtigste Person im Arbeiter- und Bauernstaat, von 1950 bis 1971 Erster Sekretär des Zentralkomitees der herrschenden SED. Die Partei war bereits 1946 gegründet worden. Das allerletzte Wort in der DDR hat zwar bis zu ihrem Ende die Sowjetunion. Vor allem innenpolitisch aber liegt die Macht beim Politbüro des Zentralkomitees der SED. Wie die Partei diese Macht konkret ausübt, erklärt Historiker Udo Grashoff.

O-Ton 12 Grashoff3

Die DDR hatte ne Doppelstruktur. Es war so, dass auf alle staatlichen Institutionen, alle Ministerien, alle Verwaltungsgremien hatten eine Parallelstruktur bei der Partei sowohl auf der staatlichen Ebene als auch auf der Ebene der Bezirke, als auch auf der Ebene der Kreise, als auch in den Städten. Überall gab es ne Parteistruktur, die parallel dazu war, und die der übergeordnet war, das heißt, die Anweisungen an die staatlichen Strukturen geben konnte, und die wiederum die Ausführungen dieser Bestimmungen kontrollieren konnte. Also insofern war der Staat eigentlich nur der Erfüllungsgehilfe der Partei.

Musik 6: „Lied der Partei“ – ca. 25 Sek

O-Ton 13

In Übereinstimmung mit den Vorschlägen aus der Arbeiterklasse, aus der werktätigen Bauernschaft, aus anderen Kreisen der Werktätigen, hat das Zentralkomitee der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands beschlossen, der 2. Parteikonferenz vorzuschlagen, dass in der Deutschen Demokratischen Republik der Sozialismus planmäßig aufgebaut wird.

Sprecherin

Im Juli 1952 kündigt der Chef des Politbüros Walter Ulbricht an: von nun an werde die politische und wirtschaftliche Ordnung der DDR auch offiziell nach dem Vorbild der Sowjetunion umgestaltet. Dabei war dies ökonomisch wie politisch größtenteils längst umgesetzt. Die Großgrundbesitzer waren bereits 1945 enteignet worden, Kunst und Kultur längst eingeschworen gegen den Westen, Presse- und Rundfunk gleichgeschaltet, private Handwerkerbetriebe weitgehend verstaatlicht.

O-Ton 14

Und nach dem Grundsatz: Das Sein bestimmt das Bewusstsein, dachte man, wenn man die ökonomische Basis umgestaltet, wird das andere dann auch schon irgendwie gehen. Das heißt `52 werden auch Weichen gestellt, die eine weitere Verschlechterung der Lebensbedingungen für die Menschen bedeuten. Die Wirtschaft wird auf eine Stärkung der Schwerindustrie ausgerichtet. […] also das was eigentlich für das Leben der Menschen wichtig ist, wurde in der Produktion zurück gefahren.

Musik 7: Ein guter Informant – siehe oben – ca. 3 Min.

Sprecherin

Welche negativen Konsequenzen diese Politik für die Menschen im Alltag in der DDR hat, bekommt die SED-Führung im Sommer des Jahres 1953 eindrücklich vor Augen geführt.

O-Ton 15

Die meisten Demonstranten haben sich in den Sowjetsektor hinüber gezogen und bilden dort nun eine große Menschenmenge, die eine Hälfte der Leipziger Straße ausfüllt.

Sprecherin

Reporter des westdeutschen Radio-Senders RIAS Berlin berichten vom Volksaufstand in der DDR am 17. Juni 1953.

O-Ton 16

Und während hier noch große Transparente zu Boden fallen, beginnt soeben ein heftiger Schusswechsel. Schwere sowjetische Panzer haben soeben die Leipziger Straße besetzt und rollen weiter vor.

Sprecherin

Als am Mittwoch, den 17. Juni 1953 in den Betriebsstätten und Fabriken der DDR die Frühschicht beginnt, streiken die meisten Arbeiterinnen und Arbeiter. Bereits in den Wochen zuvor war es überall im Land zu Arbeitsniederlegungen und Protesten gekommen. Im Laufe des Vormittags beschließen Tausende Werktätige in die Innenstädte zu ziehen. In 242 Städten kommt es zu Streiks und Demonstrationen. SED-Einrichtungen werden gestürmt so wie Gefängnisse und Kreisdienststellen des Inlandsgeheimdienstes Stasi.

O-Ton 17

Wir müssen ebenfalls zurückgehen und hinter einem Wagen Deckung nehmen. […] und so ist ganz deutlich erkennbar, dass dieser Potsdamer Platz in der nächsten Zeit noch keine Ruhe erfahren wird.

Sprecherin

Die Besatzungsmacht verhängt eine Ausgangssperre. Die sowjetischen Panzer zerstreuen die Menschenmassen. In Berlin wird ein Demonstrant zerquetscht. Mehr als 100 Protestierende sterben an diesem Tag. Der Aufstand ist niedergeschlagen. Stasi und Sowjets starten eine Hetzjagd auf die Streikführer.

Musik aus

O-Ton 18

Der 17. Juni, der Aufstand ist erwachsen einerseits aus den wirtschaftlichen Problemen, also dass die SED-Führung auch immer mehr auch die ökonomischen Daumenschrauben anzog. […] Zum anderen waren die Normen erhöht worden, das heißt, die Menschen sollten für das gleiche Geld viel mehr arbeiten, was im Prinzip eine Lohnkürzung war. Und dazu kam natürlich - und das war der Hauptgrund - eine große politische Unzufriedenheit mit den Verhältnissen. Wenn man sich die Losungen der damaligen Zeit anschaut. Die streikenden Arbeiter, die fordern Demokratie, die fordern freie Wahlen, die fordern auch die Einheit Deutschlands.

Sprecherin

Die Ostdeutschen sind staatlichen Druck und Repressionen gewohnt. Dafür gesorgt hatte seit 1945 vor allem der sowjetische Geheimdienst, der Tausende aus politischen Gründen verhaften lässt. Dasselbe tut die Abteilung K5, der DDR-Kriminalpolizei, aus der 1950 die Stasi hervorgeht. Zu Anfang ist der DDR-Inlandsgeheimdienst noch eine eher kleine Behörde. Auch deswegen sieht er den Aufstand am 17. Juni nicht kommen.

O-Ton 20

Die Staatssicherheit ist nach dem 17. Juni und dann auch in den 70er Jahren nochmal massiv ausgebaut worden. Und ist also ein riesen Ministerium gewesen, ein riesen Kostenfaktor auch im Staatshaushalt. Am Ende waren es, glaube ich, 90.000 Hauptamtliche und bis zu 180.000 Inoffizielle Mitarbeiter. Das ist also eine Riesenmenge an Personal gewesen, die alles vorher, was bekannt war über Inlandsgeheimdienste, was zum Beispiel auch die Gestapo an personellen Mitteln hatte, die das also völlig in den Schatten stellt.

Musik 8: Vier lyrische… - siehe oben – 22 Sek

Sprecherin

Auch deswegen spricht man heute von SED-Diktatur, wenn es um die DDR geht. Der Schüler Hans-Joachim Hein in Frankfurt (Oder) macht traumatisierende Erfahrungen mit der Staatsmacht – vor allem mit Lehrern. Darum hält er sich meist zurück, wenn er unter Leuten ist.

O-Ton 21

Ich kann mich erinnern, als Stalin gestorben ist, mussten wir alle demonstrieren, alle trauern, und jemand hat einen Witz gemacht bei der Demonstration. Und die Lehrer haben, einige haben da mitgegrinst, aber da gab es dann fürchterliches Theater, und um Gottes Willen! Bloß das nicht! Und und, und. Das heißt also, die Erwachsenen waren das schon gewöhnt, das von oben kommt, das muss gemacht werden und fertig.

Sprecherin

Um den sowjetischen Diktator Josef Stalin betreibt die herrschende SED einen regelrechten Personen-Kult, dem sich niemand wiedersetzen kann. Stalins Sowjetunion ist das große Vorbild für den Aufbau der DDR. Das gilt auch für die Landwirtschaft. Bereits im Jahr 1945 waren alle ostdeutschen Bauernhöfe mit mehr als 100 Hektar Grund ohne Entschädigung enteignet worden. 1952 begann die Kollektivierung der DDR-Landwirtschaft, bei der die LPGs, die riesigen landwirtschaftlichen Produktions-Genossenschaften gebildet worden. Zunächst freiwillig später unter Zwang. 1960 gibt es quasi keine Einzelbauern mehr. 19.000 LPGs bewirtschafteten 85 % der landwirtschaftlichen Nutzfläche.

Musik 9: Grünbaums... aus: Mein Führer - Original Soundtrack - 45 Sek

O-Ton 22

Pionierdelegation! Still gestanden! Regt euch! Augen geradeaus!

Sprecherin

Thälmann-Pioniere und Freie Deutsche Jugend, kurz FDJ. So heißen die beiden großen Jugendorganisationen der DDR. Wer nicht mitmacht, bekommt Ärger, wird von der weiterführenden Schule geworfen oder von der Universität. Vor allem gegen die Christen der Jungen Gemeinde, die sich der Mitgliedschaft verweigern, geht die SED rigoros vor, kriminalisiert und schikaniert die Gläubigen. Zu Beginn der 50er Jahre ist rund die Hälfte der DDR-Jugendlichen Mitglied bei den Pionieren und der FDJ. In den 80er Jahren werden es knapp 90 % sein.

O-Ton 23

Es ging darum die Jugend schon von Anfang an für das sozialistische Projekt zu konditionieren. Die Jugend war die große Hoffnung der SED, weil man glaubte, dass man die Jugend begeistern könnte für den Aufbau einer besseren, humaneren Gesellschaft, einer kommunistischen Gesellschaft.

Sprecherin

1955 findet die erste staatliche Jugendweihe statt. Eine feierliche Zeremonie bei der Schülerinnen und Schüler im Alter von 14 Jahren symbolisch in den Kreis der Erwachsenen aufgenommen werden und sich zum sozialistischen Staat bekennen.

O- Ton 24

SED-Funktionär: Seid ihr bereit, für ein glückliches Leben der werktätigen Menschen und für den Fortschritt in Wirtschaft, Wissenschaft und Kunst einzusetzen? Jung-Pioniere: Ja, das geloben wir.

Sprecherin

Ebenfalls im Jahr 1955 überträgt die Sowjetunion der DDR noch mehr staatliche Souveränität, behält die Fäden im Hintergrund aber weiter in der Hand. Ebenfalls im gleichen Jahr tritt die Bundesrepublik der NATO bei -woraufhin die Sowjetunion den Warschauer Pakt gründet, ein Militärbündnis sozialistischer Staaten. Die DDR wird mit ihrer Kasernierten Volkspolizei Gründungsmitglied. Im Jahr darauf wird in der DDR die NVA gegründet, die Nationale Volksarmee - wenige Monate nach der Gründung der Bundeswehr im Westen. Der Ministerpräsident der DDR Otto Grotewohl:

O-Ton 25

Kein verantwortungsbewusster Demokrat und Patriot wird vor der Entwicklung in Westdeutschland die Augen verschließen, sondern daraus muss die Schlussfolgerung gezogen werden in der Deutschen Demokratischen Republik solche Maßnahmen zu treffen, die gewährleisten, dass die Imperialisten und Militaristen gezügelt und all ihre Versuche zum Scheitern gebracht werden.

O-Ton 26

Und das interessante ist, dass für den Aufbau der NVA auch […] hohe Wehrmachts-Generäle und Wehrmachts-Offiziere, die in sowjetischer Kriegs-Gefangenschaft waren, an diesem Aufbau beteiligt waren. […] und die NVA war natürlich auch ein Repressionsmittel für die SED-Herrschaft und natürlich auch der militärische Arm, der die SED-Herrschaft sichern sollte.

ATMO Trabbi + Musik 10: Vier lyrische… - siehe oben – 25 Sek

Sprecherin

1957 rollt in Zwickau der erste Trabant vom Band und Hans-Joachim Hein bekommt erstmals ein eigenes Zimmer - zur Untermiete in Magdeburg. Dort macht er eine Lehre als Elektromonteur und geht parallel auf die Abendoberschule „Otto von Guericke“. Mit dem Sozialismus und der SED-Diktatur versucht er sich zu arrangieren.

O-Ton 27

Ja. Man hat allerdings dann häufig dann Wege gefunden, nach Außen politisch auf Linie zu erscheinen. Ja, okay! Aber intern war das ne andere Sache. Es gibt also dann durchaus zwei Welten.

Musik 11: Entlassung – 1:28 Min

O-Ton 28

Diesen Weg werden wir unbeirrbar weiterverfolgen.

Sprecherin

Wilhelm Pieck, seit 1949 bis zu seinem Tod 1960 erster und einziger Staatspräsident der DDR.

O-Ton Pieck 29

Unterstützt von den Kräften des Friedens und des Sozialismus in der ganzen Welt, die noch niemals so mächtig und geeint waren wie heute.

Sprecherin

10 Jahre nach der Staatsgründung, sieht der Alltag in der DDR weniger strahlend aus, als es die SED-Propaganda den Menschen glauben machen möchte. Mit der Wirtschaft und dem allgemeinen Wohlstand ist es weiter bergab gegangenen. Die SED konnte ihr Versprechen auf ein besseres Leben als im Westen nicht einhalten. Zwischen 1949 und 1961 siedeln insgesamt 2,7 Millionen Ostdeutsche nach Westdeutschland um. Gestoppt wird die große Flucht erst mit dem Bau der Berliner Mauer und der Schließung der deutsch-deutschen Grenze - zu Beginn der 60er Jahre.


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7. Oktober 1949. Berlin Wilhelmstraße. Aus der sowjetischen Besatzungszone wird die Deutsche Demokratische Republik. Zum ersten Staatspräsidenten der DDR wird Wilhelm Pieck ernannt.

O-Ton 1

Reporter: Wilhelm Pieck eröffnet die Versammlung. Atmo: Sitzungsglocke Pieck: Bitte Platz zu nehmen! Die konstituierende Sitzung der provisorischen Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik ist eröffnet.

(Bitte runterziehen – nur kurz stehen lassen)

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Es ist ein schwerer Start für die junge DDR: Zu Beginn des Jahres 1950 befindet sich die ehemalige sowjetische Besatzungszone, in der ca. 16 Millionen Menschen leben, in einem katastrophalen Zustand. Städte wie Dresden oder Magdeburg wurden im Krieg großflächig bombardiert. 25 Prozent aller Wohnungen im Land sind zerstört. Vielerorts gibt es keinen Strom oder sauberes Wasser. Vier Millionen Flüchtlinge und Vertriebene müssen versorgt werden. An Russland gehen milliardenschwere Reparationszahlungen. Dafür werden komplette Industrieanlagen und insgesamt mehr als 10.000 Kilometer Eisenbahnschienen abgebaut und in die Sowjetunion gebracht.

O- Ton 2

Das war ein Jahrzehnt, das zum einen geprägt war durch die immensen Kriegszerstörungen und Kriegsverluste. Die Menschen mussten das Land wieder aufbauen. Sie trauerten um die Gefallenen.

Sprecherin

Das sagt Anna Kaminsky, die Direktorin der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur.

O- Ton 3

Es war aber auch ein Jahrzehnt, in dem die Menschen erleichtert waren, dass endlich Frieden war. Und man hoffte natürlich auch ungeschoren aus dieser Kriegszeit mit den immensen, unglaublichen Verbrechen der Nazis rauszukommen und ein normales Leben zu führen. Und kaum jemand wollte sich mit dieser Zeit damals beschäftigen.

Musik 2: Fünf … Aus: Fünf Minuten – 81245480108 – 40 Sek

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Hans-Joachim Hein ist im Jahr 1950 elf Jahre alt. Geboren wurde er 1939 in Frankfurt (Oder). Noch vor Kriegsende flieht der 6-Jährige Hans-Joachim mit seiner Mutter und der kleinen Schwester vor der Roten Armee nach Schleswig-Holstein. 1950 ist die kleine Familie wieder zurück in Frankfurt (Oder).

O-Ton 4

Wohnungsmäßig gab`s überall Mängel. […] Ja, für Kinder war es schon sehr interessant wegen der Ruinen. Da gab es immer was Neues zu entdecken. Und ein oder zwei hatten auch schon mal noch Leichen entdeckt also die Reste davon. (Stimme oben)

Musik 3: Ein guter Informant – Z8019960 112– 1:06 Min

Sprecherin

Viele Menschen leben damals in Massenunterkünften und Lagern – eingerichtet in ehemaligen Kasernen, Schulen, Gasthäusern, Hotels, Zwangsarbeiterlagern oder Sporthallen. Ein Großteil der Bevölkerung fühlt sich verunsichert. Wie soll es weitergehen mit Deutschland? Anfangs kursieren Gerüchte: Angeblich wollen die Alliierten alle deutschen Frauen sterilisieren oder alle Männer zur Zwangsarbeit weg bringen oder aus ganz Deutschland einen riesigen Kartoffelacker machen – als Strafe für die Verbrechen der Nationalsozialisten. Das Leid der Juden, Widerstandskämpfer, Polen oder Russen ist der Öffentlichkeit in der frühen DDR bekannt, auch weil die Gräueltaten in Kino-Filmen und Romanen thematisiert wenden – an den Oberschulen als Pflichtlektüre. Und weil die SED sich darum bemüht, das Ausmaß der Verbrechen umfassend darzustellen.

O-Ton 5

Allerdings wurde das immer verbunden mit der antifaschistischen Propaganda, die zwei kleine Manipulationen vorgenommen hat.

Sprecherin

Erklärt Udo Grashoff, Historiker am Hannah-Arend-Institut, das zur TU Dresden gehört.

O-Ton 6

Die eine Manipulation war, dass behauptet wurde, dass eigentlich der Holocaust – also den Begriff gab es damals noch nicht – aber der Massenmord an den Juden - nur so eine Art Seiteneffekt, Nebeneffekt des Nationalsozialismus gewesen wäre und das eigentliche mörderische Ziel des Nationalsozialismus die Vernichtung des Kommunismus gewesen sei. […] Und die Zweite schließt sich daran an. Dass man das Wesen des Nationalsozialismus nicht verstanden hat als ein rassistisches kolonialistisches Projekt, sondern als ein kapitalistisches, imperialistisches Projekt. […] Und damit konnte man dann auch im Kalten Krieg die gesamte westliche Welt als letztlich Bruder im Geiste des Faschismus darstellen. […] Und damit konnte man sich selbst natürlich auch moralisch als sehr hochstehend darstellen und das hat dazu geführt, dass man viele Menschen, nicht nur einfache Menschen, auch sehr viele Intellektuelle grade hinter die Fahne der SED bekommen hat.

Musik 5: Vier lyrische… aus: Fünf Minuten – 55 Sek

Sprecherin

1952 werden die 5 Bundesländer der DDR in 14 Bezirke aufgeteilt, die bis 1990 als Verwaltungseinheiten bestehen bleiben. Die kleine Familie Hein im Bezirk Frankfurt schlägt sich durch – zu dritt in einer Einzimmerwohnung. Die Toilette: im Treppenhaus. Die Kleidung: selbstgenäht. Die Mutter arbeitet in einer Gaststätte. Die Währung der DDR, die Ost-Mark, war zwar schon 1948 eingeführt worden – einen Monat nach der D-Mark im Westen -, nur zu kaufen gibt es kaum etwas. Die meisten Menschen werden durch Lebensmittelkarten versorgt – ausgegeben vom Staat. Dafür gibt es Rationen an Brot, Zucker, Salz, Tee oder Kaffee-Ersatz. Bei den Heins gibt es meistens Kartoffeln.

O-Ton 7

Das hing von vielen Zufällen ab, ob jemand Beziehungen zum schwarzen Markt hatte oder Beziehungen zu Bäckereien oder, oder. Man hat sich gegenseitig geholfen. […] und hat dann auch dazu beigetragen, dass man naja, praktisch so, einigermaßen überleben konnte. […] Ans Essen selber kann ich mich wenig erinnern. Es gab nicht viel.

O-Ton 8

Anfänglich in der sowjetisch besetzten Zone später der DDR gab es praktisch drei Säulen des Handels.

Sprecherin

Erklärt Historikerin Anna Kaminsky.

O-Ton 9

Das war zum einen der starke private Handel, der zunehmend verstaatlicht und praktisch enteignet wurde. Dann die so genannten Konsum-Läden, das waren die Läden der Konsumgenossenschaften, die es in Deutschland schon seit Ende des 19. Jahrhunderts gab. Und es gab die neu gegründete sozialistische Handelsorganisation, die HO.

Sprecherin

Das staatliche Einzelhandelsunternehmen HO - gegründet 1948 auf Weisung der Sowjets - wächst rasant. Bis 1960 werden 35.000 Geschäfte eröffnet, die knapp 40 % des landesweiten Einzelhandelsumsatzes erwirtschaften - trotz überteuerter und für viele nicht erschwinglicher Preise. Die Läden der HO werden von der Staats-Partei SED bevorzugt mit Waren beliefert.

O-Ton 10

Über die HO-Läden, die sozialistisch deklariert waren, wollte die SED Führung den Menschen im Land zeigen, dass praktisch ihre Herrschaft auch für die Menschen im Alltag sehr viele Vorteile bringen würde und dass die SED-Führung sehr gut für die Bürger im Land sorgen würde und sie auch ein besseres Warenangebot in diesen staatlichen HO-Läden vorfinden.

Musik 5: The Working class – s.o. – 35 Sek

Sprecherin

Doch der Alltag in der DDR bleibt hart. Was produziert wird, reicht nicht für eine flächendeckende Versorgung. So wie unmittelbar nach dem Krieg bauen die Menschen immer noch auf allen verfügbaren Flächen Gemüse an - auf Fensterbänken, in öffentlichen Parks, den Hausdächern. Immer noch werden Kuchen aus Kartoffelschalen und Torten aus Eicheln und Kaffeesatz gebacken. Rübenblätter dienen als Ersatz für Spinat.

O-Ton 11

Dieser Staat der Werktätigen, die Deutsche Demokratische Republik, hat zwei Klassen zur Grundlage: Die Arbeiterklasse und die Klasse der werktätigen Bauernschaft.

Sprecherin

Walter Ulbricht, die mächtigste Person im Arbeiter- und Bauernstaat, von 1950 bis 1971 Erster Sekretär des Zentralkomitees der herrschenden SED. Die Partei war bereits 1946 gegründet worden. Das allerletzte Wort in der DDR hat zwar bis zu ihrem Ende die Sowjetunion. Vor allem innenpolitisch aber liegt die Macht beim Politbüro des Zentralkomitees der SED. Wie die Partei diese Macht konkret ausübt, erklärt Historiker Udo Grashoff.

O-Ton 12 Grashoff3

Die DDR hatte ne Doppelstruktur. Es war so, dass auf alle staatlichen Institutionen, alle Ministerien, alle Verwaltungsgremien hatten eine Parallelstruktur bei der Partei sowohl auf der staatlichen Ebene als auch auf der Ebene der Bezirke, als auch auf der Ebene der Kreise, als auch in den Städten. Überall gab es ne Parteistruktur, die parallel dazu war, und die der übergeordnet war, das heißt, die Anweisungen an die staatlichen Strukturen geben konnte, und die wiederum die Ausführungen dieser Bestimmungen kontrollieren konnte. Also insofern war der Staat eigentlich nur der Erfüllungsgehilfe der Partei.

Musik 6: „Lied der Partei“ – ca. 25 Sek

O-Ton 13

In Übereinstimmung mit den Vorschlägen aus der Arbeiterklasse, aus der werktätigen Bauernschaft, aus anderen Kreisen der Werktätigen, hat das Zentralkomitee der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands beschlossen, der 2. Parteikonferenz vorzuschlagen, dass in der Deutschen Demokratischen Republik der Sozialismus planmäßig aufgebaut wird.

Sprecherin

Im Juli 1952 kündigt der Chef des Politbüros Walter Ulbricht an: von nun an werde die politische und wirtschaftliche Ordnung der DDR auch offiziell nach dem Vorbild der Sowjetunion umgestaltet. Dabei war dies ökonomisch wie politisch größtenteils längst umgesetzt. Die Großgrundbesitzer waren bereits 1945 enteignet worden, Kunst und Kultur längst eingeschworen gegen den Westen, Presse- und Rundfunk gleichgeschaltet, private Handwerkerbetriebe weitgehend verstaatlicht.

O-Ton 14

Und nach dem Grundsatz: Das Sein bestimmt das Bewusstsein, dachte man, wenn man die ökonomische Basis umgestaltet, wird das andere dann auch schon irgendwie gehen. Das heißt `52 werden auch Weichen gestellt, die eine weitere Verschlechterung der Lebensbedingungen für die Menschen bedeuten. Die Wirtschaft wird auf eine Stärkung der Schwerindustrie ausgerichtet. […] also das was eigentlich für das Leben der Menschen wichtig ist, wurde in der Produktion zurück gefahren.

Musik 7: Ein guter Informant – siehe oben – ca. 3 Min.

Sprecherin

Welche negativen Konsequenzen diese Politik für die Menschen im Alltag in der DDR hat, bekommt die SED-Führung im Sommer des Jahres 1953 eindrücklich vor Augen geführt.

O-Ton 15

Die meisten Demonstranten haben sich in den Sowjetsektor hinüber gezogen und bilden dort nun eine große Menschenmenge, die eine Hälfte der Leipziger Straße ausfüllt.

Sprecherin

Reporter des westdeutschen Radio-Senders RIAS Berlin berichten vom Volksaufstand in der DDR am 17. Juni 1953.

O-Ton 16

Und während hier noch große Transparente zu Boden fallen, beginnt soeben ein heftiger Schusswechsel. Schwere sowjetische Panzer haben soeben die Leipziger Straße besetzt und rollen weiter vor.

Sprecherin

Als am Mittwoch, den 17. Juni 1953 in den Betriebsstätten und Fabriken der DDR die Frühschicht beginnt, streiken die meisten Arbeiterinnen und Arbeiter. Bereits in den Wochen zuvor war es überall im Land zu Arbeitsniederlegungen und Protesten gekommen. Im Laufe des Vormittags beschließen Tausende Werktätige in die Innenstädte zu ziehen. In 242 Städten kommt es zu Streiks und Demonstrationen. SED-Einrichtungen werden gestürmt so wie Gefängnisse und Kreisdienststellen des Inlandsgeheimdienstes Stasi.

O-Ton 17

Wir müssen ebenfalls zurückgehen und hinter einem Wagen Deckung nehmen. […] und so ist ganz deutlich erkennbar, dass dieser Potsdamer Platz in der nächsten Zeit noch keine Ruhe erfahren wird.

Sprecherin

Die Besatzungsmacht verhängt eine Ausgangssperre. Die sowjetischen Panzer zerstreuen die Menschenmassen. In Berlin wird ein Demonstrant zerquetscht. Mehr als 100 Protestierende sterben an diesem Tag. Der Aufstand ist niedergeschlagen. Stasi und Sowjets starten eine Hetzjagd auf die Streikführer.

Musik aus

O-Ton 18

Der 17. Juni, der Aufstand ist erwachsen einerseits aus den wirtschaftlichen Problemen, also dass die SED-Führung auch immer mehr auch die ökonomischen Daumenschrauben anzog. […] Zum anderen waren die Normen erhöht worden, das heißt, die Menschen sollten für das gleiche Geld viel mehr arbeiten, was im Prinzip eine Lohnkürzung war. Und dazu kam natürlich - und das war der Hauptgrund - eine große politische Unzufriedenheit mit den Verhältnissen. Wenn man sich die Losungen der damaligen Zeit anschaut. Die streikenden Arbeiter, die fordern Demokratie, die fordern freie Wahlen, die fordern auch die Einheit Deutschlands.

Sprecherin

Die Ostdeutschen sind staatlichen Druck und Repressionen gewohnt. Dafür gesorgt hatte seit 1945 vor allem der sowjetische Geheimdienst, der Tausende aus politischen Gründen verhaften lässt. Dasselbe tut die Abteilung K5, der DDR-Kriminalpolizei, aus der 1950 die Stasi hervorgeht. Zu Anfang ist der DDR-Inlandsgeheimdienst noch eine eher kleine Behörde. Auch deswegen sieht er den Aufstand am 17. Juni nicht kommen.

O-Ton 20

Die Staatssicherheit ist nach dem 17. Juni und dann auch in den 70er Jahren nochmal massiv ausgebaut worden. Und ist also ein riesen Ministerium gewesen, ein riesen Kostenfaktor auch im Staatshaushalt. Am Ende waren es, glaube ich, 90.000 Hauptamtliche und bis zu 180.000 Inoffizielle Mitarbeiter. Das ist also eine Riesenmenge an Personal gewesen, die alles vorher, was bekannt war über Inlandsgeheimdienste, was zum Beispiel auch die Gestapo an personellen Mitteln hatte, die das also völlig in den Schatten stellt.

Musik 8: Vier lyrische… - siehe oben – 22 Sek

Sprecherin

Auch deswegen spricht man heute von SED-Diktatur, wenn es um die DDR geht. Der Schüler Hans-Joachim Hein in Frankfurt (Oder) macht traumatisierende Erfahrungen mit der Staatsmacht – vor allem mit Lehrern. Darum hält er sich meist zurück, wenn er unter Leuten ist.

O-Ton 21

Ich kann mich erinnern, als Stalin gestorben ist, mussten wir alle demonstrieren, alle trauern, und jemand hat einen Witz gemacht bei der Demonstration. Und die Lehrer haben, einige haben da mitgegrinst, aber da gab es dann fürchterliches Theater, und um Gottes Willen! Bloß das nicht! Und und, und. Das heißt also, die Erwachsenen waren das schon gewöhnt, das von oben kommt, das muss gemacht werden und fertig.

Sprecherin

Um den sowjetischen Diktator Josef Stalin betreibt die herrschende SED einen regelrechten Personen-Kult, dem sich niemand wiedersetzen kann. Stalins Sowjetunion ist das große Vorbild für den Aufbau der DDR. Das gilt auch für die Landwirtschaft. Bereits im Jahr 1945 waren alle ostdeutschen Bauernhöfe mit mehr als 100 Hektar Grund ohne Entschädigung enteignet worden. 1952 begann die Kollektivierung der DDR-Landwirtschaft, bei der die LPGs, die riesigen landwirtschaftlichen Produktions-Genossenschaften gebildet worden. Zunächst freiwillig später unter Zwang. 1960 gibt es quasi keine Einzelbauern mehr. 19.000 LPGs bewirtschafteten 85 % der landwirtschaftlichen Nutzfläche.

Musik 9: Grünbaums... aus: Mein Führer - Original Soundtrack - 45 Sek

O-Ton 22

Pionierdelegation! Still gestanden! Regt euch! Augen geradeaus!

Sprecherin

Thälmann-Pioniere und Freie Deutsche Jugend, kurz FDJ. So heißen die beiden großen Jugendorganisationen der DDR. Wer nicht mitmacht, bekommt Ärger, wird von der weiterführenden Schule geworfen oder von der Universität. Vor allem gegen die Christen der Jungen Gemeinde, die sich der Mitgliedschaft verweigern, geht die SED rigoros vor, kriminalisiert und schikaniert die Gläubigen. Zu Beginn der 50er Jahre ist rund die Hälfte der DDR-Jugendlichen Mitglied bei den Pionieren und der FDJ. In den 80er Jahren werden es knapp 90 % sein.

O-Ton 23

Es ging darum die Jugend schon von Anfang an für das sozialistische Projekt zu konditionieren. Die Jugend war die große Hoffnung der SED, weil man glaubte, dass man die Jugend begeistern könnte für den Aufbau einer besseren, humaneren Gesellschaft, einer kommunistischen Gesellschaft.

Sprecherin

1955 findet die erste staatliche Jugendweihe statt. Eine feierliche Zeremonie bei der Schülerinnen und Schüler im Alter von 14 Jahren symbolisch in den Kreis der Erwachsenen aufgenommen werden und sich zum sozialistischen Staat bekennen.

O- Ton 24

SED-Funktionär: Seid ihr bereit, für ein glückliches Leben der werktätigen Menschen und für den Fortschritt in Wirtschaft, Wissenschaft und Kunst einzusetzen? Jung-Pioniere: Ja, das geloben wir.

Sprecherin

Ebenfalls im Jahr 1955 überträgt die Sowjetunion der DDR noch mehr staatliche Souveränität, behält die Fäden im Hintergrund aber weiter in der Hand. Ebenfalls im gleichen Jahr tritt die Bundesrepublik der NATO bei -woraufhin die Sowjetunion den Warschauer Pakt gründet, ein Militärbündnis sozialistischer Staaten. Die DDR wird mit ihrer Kasernierten Volkspolizei Gründungsmitglied. Im Jahr darauf wird in der DDR die NVA gegründet, die Nationale Volksarmee - wenige Monate nach der Gründung der Bundeswehr im Westen. Der Ministerpräsident der DDR Otto Grotewohl:

O-Ton 25

Kein verantwortungsbewusster Demokrat und Patriot wird vor der Entwicklung in Westdeutschland die Augen verschließen, sondern daraus muss die Schlussfolgerung gezogen werden in der Deutschen Demokratischen Republik solche Maßnahmen zu treffen, die gewährleisten, dass die Imperialisten und Militaristen gezügelt und all ihre Versuche zum Scheitern gebracht werden.

O-Ton 26

Und das interessante ist, dass für den Aufbau der NVA auch […] hohe Wehrmachts-Generäle und Wehrmachts-Offiziere, die in sowjetischer Kriegs-Gefangenschaft waren, an diesem Aufbau beteiligt waren. […] und die NVA war natürlich auch ein Repressionsmittel für die SED-Herrschaft und natürlich auch der militärische Arm, der die SED-Herrschaft sichern sollte.

ATMO Trabbi + Musik 10: Vier lyrische… - siehe oben – 25 Sek

Sprecherin

1957 rollt in Zwickau der erste Trabant vom Band und Hans-Joachim Hein bekommt erstmals ein eigenes Zimmer - zur Untermiete in Magdeburg. Dort macht er eine Lehre als Elektromonteur und geht parallel auf die Abendoberschule „Otto von Guericke“. Mit dem Sozialismus und der SED-Diktatur versucht er sich zu arrangieren.

O-Ton 27

Ja. Man hat allerdings dann häufig dann Wege gefunden, nach Außen politisch auf Linie zu erscheinen. Ja, okay! Aber intern war das ne andere Sache. Es gibt also dann durchaus zwei Welten.

Musik 11: Entlassung – 1:28 Min

O-Ton 28

Diesen Weg werden wir unbeirrbar weiterverfolgen.

Sprecherin

Wilhelm Pieck, seit 1949 bis zu seinem Tod 1960 erster und einziger Staatspräsident der DDR.

O-Ton Pieck 29

Unterstützt von den Kräften des Friedens und des Sozialismus in der ganzen Welt, die noch niemals so mächtig und geeint waren wie heute.

Sprecherin

10 Jahre nach der Staatsgründung, sieht der Alltag in der DDR weniger strahlend aus, als es die SED-Propaganda den Menschen glauben machen möchte. Mit der Wirtschaft und dem allgemeinen Wohlstand ist es weiter bergab gegangenen. Die SED konnte ihr Versprechen auf ein besseres Leben als im Westen nicht einhalten. Zwischen 1949 und 1961 siedeln insgesamt 2,7 Millionen Ostdeutsche nach Westdeutschland um. Gestoppt wird die große Flucht erst mit dem Bau der Berliner Mauer und der Schließung der deutsch-deutschen Grenze - zu Beginn der 60er Jahre.


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