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Kinder des 20. Juli - Wie es für die Nachkommen weiterging

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Der Staatsstreichversuch vom 20.Juli 1944 gilt heute als Versuch, durch den Tod Hitlers den Zweiten Weltkrieg zu beenden und damit Millionen Zivilisten und Soldaten das Leben zu retten. Doch an dieser Anerkennung hat es lange gefehlt. Die Tat der Verschwörer um Stauffenberg, Tresckow, Beck und andere wurde über Jahrzehnte als Verrat denunziert. Entsprechend schwer hatten es auch Angehörige und Nachkommen, in der deutschen Öffentlichkeit Ansprüche auf Entschädigung geltend zu machen. Von Rainer Volk

Credits
Autor dieser Folge: Rainer Volk
Regie: Sabine Kienhöfer
Es sprachen: Thomas Birnstiel, Jerzy May, Susanne Schroeder
Technik: Simon Lobenhofer
Redaktion: Thomas Morawetz

Eine besondere Empfehlung der Redaktion:
ALLES GESCHICHTE - HISTORY VON RADIOWISSEN

Omas Tasche und das Hitler-Attentat
War Oma am Hitler-Attentat vom 20. Juli 1944 beteiligt? Der Autor Thies Marsen ist zunächst sehr skeptisch, als ihm seine Großmutter eröffnet: Sie habe die Aktentasche besorgt, in der Graf von Stauffenbergs Bombe platziert war. Dann taucht er in die Familiengeschichte ein. Was er herausfindet, lässt ihn bis heute nicht los. Von Thies Marsen JETZT ENTDECKEN

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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.

Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:

O-Ton 1: (Hitler im Radio, 20.7.1944, Länge: 0’50)

„Deutsche Volksgenossen und -genossinnen. Eine ganz kleine Clique ehrgeiziger, gewissensloser und zugleich unvernünftiger, verbrecherisch-dummer Offiziere hat ein Komplott geschmiedet, um mich zu beseitigen…

(blenden ab „…mich zu beseitigen“ – unter Erzähler verlieren)

Musik: Dark operation red 0‘43

Erzähler:

Die Nachwirkungen des 20.Juli 1944 beginnen schon in der Nacht jenes Tages - als Hitler im Radio spricht. Seine Diffamierung der Akteure des Umsturzversuchs wirkt noch über Jahrzehnte. Die brutale Rache der Nazis vor Kriegsende 1945 mit hunderten Hinrichtungen, Sippenhaft und Verschleppungen von Angehörigen ist dabei nur ein Aspekt. Das wahre Gift der Sätze Hitlers zeigt sich erst nach der Befreiung vom Nationalsozialismus. Axel Smend ist Jahrgang 1944. Sein Vater, der Oberstleutnant Günther Smend, versuchte seinen Vorgesetzten, den Generalstabschef des Heeres, zu bereden, dem Widerstand beizutreten, Sein Sohn Axel erinnert sich:

O-Ton 2: (Smend-Verräter) –

„Meine Mutter war beim Elternsprechtag. Und sie sprachen auch in irgendeiner Weise über meinen Vater. Ich war immer ein schlechter Schüler. Und dann hat der Lehrer in diesem Zusammenhang meiner Mutter gesagt. Na ja, dann ist es ja kein Wunder, dass Ihr Sohn Axel schlecht in der Schule ist - als Sohn eines Verräters.“ Länge: 0‘23

Erzähler:

Smends Erlebnis ist keineswegs ein Einzelfall. Begriffe wie „Vorbilder“ oder „Helden“ für die Männer und Frauen des 20.Juli 1944 blieben lange die Ausnahme. So fand das Allensbacher Institut für Demoskopie 1951 heraus: 30 Prozent der Deutschen verurteilten den versuchten Staatsstreich weiterhin. Noch einmal so viele wussten nichts von den Geschehnissen oder hatten keine Meinung dazu. Irritiert schrieben die Meinungsforscher:

Musik: Dark figures (red.) 0‘16

Zitator:

„Beinahe die Hälfte aller Leute, die über den 20.Juli mitreden können, sagten über die Verschwörer nur Nachteiliges… Weiter wird ihnen Feigheit vorgeworfen, gelegentlich auch Egoismus.“

Erzähler:

Besonders hartnäckig hielten sich die Verleumdungen im militärischen Milieu - in der Bundeswehr. Das Verteidigungsministerium benannte zwar 1961 die erste Kaserne nach einem der Verschwörer – in Sigmaringen, nach Stauffenberg. Doch Jobst Schulze-Büttger, dessen Vater Georg ein Vertrauter von Henning von Tresckow war - neben Stauffenberg der wichtigste Kopf des berühmten „Unternehmen Walküre“ – berichtet von einem Erlebnis als Offizier Anfang der 1980er Jahre:

O-Ton 3: (Schu-Bü. – Verräter) –

„Wir saßen im Kasino zusammen und hatten das Thema Widerstand. Und man landete im Laufe dieses Gesprächs bei dem Thema natürlich auch „20.Juli“. Und da sagte ein Kompaniechef aus meinem Bataillon: „Das waren alles Verräter.“ Länge: 0‘17

Musik: Coming closer red 0‘36

Erzähler:

Kein Wunder, dass Ehefrauen, Mütter, Söhne und Töchter der Offiziere des 20.Juli 1944 sich abkapselten. Die Familien hatten nach dem gescheiterten Staatsstreich Schreckliches erlebt: Etwa 50 Kinder kamen im Herbst 1944 unter falschen Namen in ein Heim bei Bad Sachsa – manche bis zum Kriegsende. Die Gestapo steckte Dutzende Frauen in Sippenhaft, um herauszufinden, was diese über die Umsturzpläne wussten. Die Folge: In vielen Familien wurde wenig erzählt von den Vätern. Jobst Schulte-Büttger:

O-Ton 4: (Schu-Bü – Beschweigen) –

„Ich habe meine Mutter und meinen Bruder nie gefragt. Irgendwie habe ich gespürt, dass da was war. Und ich ihnen im Grunde genommen nicht zumuten wollte, mir auf eine Frage, von der ich das Gefühl hatte, dass es für sie ein Problem ist, zu antworten.

Musik: Strictly confidential 0‘41

Erzähler:

In Gesprächen mit den Kindern der Umstürzler vom 20.Juli 1944 finden sich aber auch Aussagen, die ein anderes Extrem andeuten: Die Verklärung des Vaters. Kurt von Plettenberg war 1944 Generalbevollmächtigter der Hohenzollern-Familie und des Fürstenhauses Schaumburg-Lippe. Er wusste von den Putsch-Plänen und stürzte sich, nachdem er dem Verhör-Beamten der Gestapo einen Boxhieb verpasst hatte, aus dem Fenster des Berliner Gestapo-Gebäudes in den Tod. Seine Tochter Dorothea, Jahrgang 1944 erinnert sich:

O-Ton 5: (Plettenberg – Vater Heiliger) –

„Mein Vater war so der Heilige und wurde ständig überall so gelobt. Das war eine Sache, an die ich gewöhnt war.“ Länge: 0‘14

Erzähler:

Derlei Schilderungen lassen sich nur schwer generalisieren. Felicitas von Aretin, Historikerin und ebenfalls Nachfahrin von Widerstandskämpfern, hat für ihr Buch „Die Enkel des 20.Juli“ Befragungen durchgeführt. Für sie sind die Witwen Dreh- und Angelpunkt in der Familienüberlieferung:

O-Ton 6: (Aretin – Witwen-Rolle) –

Wenn Witwen eben sehr viel über ihre Erlebnisse oder Gefühle sprechen konnten mit ihren Kindern, dann hat sich das meistens auch sehr positiv ausgewirkt, weil eine Verarbeitung stattgefunden hat. Weil hingegen, wenn die Witwen sozusagen gar nichts erzählt haben, dann war das für die Kindergeneration natürlich schon viel schwieriger. Und damit, versetzt, auch für die Enkel-Generation.“ Länge: 0‘25

Musik: Obscure intrigue red. 0‘47

Erzähler:

Teilweise erklärt sich die komplizierte Lage durch die Weltpolitik der Nachkriegszeit. 1947 begann der Kalte Krieg zwischen Amerikanern und Sowjets. Das trieb die deutsche Teilung in West und Ost voran und erschwerte den Alltag der Witwen, Eltern und Kinder weiter. Viele flohen aus der sowjetisch besetzten Zone in den Westen, verloren so ihren Besitz im Osten. Zur Diffamierung kam ein sozialer Abstieg hinzu. Axel Smends Mutter hatten die Nazis noch vor Kriegsende das Wohnrecht in ihrer Offizierswohnung in Lüneburg entzogen. Das provisorische Hausen in zwei oder drei Zimmern sei weniger schlimm gewesen als die finanziellen Schwierigkeiten seiner Mutter, meint Axel Smend im Rückblick.

O-Ton 8: (Smend – Verhältnisse) –

„Es ging eigentlich mehr um Wie kann man sich finanzieren? Sie hat, glaube ich, sehr viele Tauschgeschäfte gemacht. Also: Sachen verkauft, um dafür Geld zu haben – und um dafür dann Lebensmittel zu kaufen.“ Länge: 0‘26

Erzähler:

Unterstützung erhielten Witwen, Mütter, Kinder und Verwandte durch das „Hilfswerk 20.Juli 1944 e.V.“ - das bis heute kaum bekannt ist. Der Freundeskreis gründete sich im Herbst 1945 - vor allem auf Initiative des Juristen Fabian von Schlabrendorff und des Ehepaars Carl-Hans und Renate von Hardenberg. Schlabrendorff und Hardenberg hatten als Offiziere im Umkreis von Henning von Tresckow Attentats-Pläne mit entworfen und nach deren Scheitern diverse Konzentrationslager nur knapp überlebt. Anhand einer Liste der Angehörigen, die Schlabrendorff erstellte, kümmerte sich das Hilfswerk unbürokratisch um die Überlebenden des militärischen Widerstands.

Musik: Ich bin zurückgeblieben 0‘29

Erzähler:

In der Trümmergesellschaft der Halbwaisen, jung Verwitweten und Ausgebombten – hier in einem satirischen Chanson beschrieben – war Unterstützung für die Hinterbliebenen des 20.Juli 1944 besonders dringlich. Die Evangelische Kirche in Deutschland gab mit ihrer Hilfswerks-Organisation, die der Widerständler und spätere Bundestagspräsident Eugen Gerstenmaier leitete, was möglich war. Fundamental aber waren bis Anfang der 1950er Jahre ausländische Gönner – vor allem karikative Organisationen in den USA und Großbritannien. Was er an Spenden erhielt, ist Axel Smend und anderen im Gedächtnis geblieben:

O-Ton 10: (Smend – Pakete) –

„Ich erinnere mich sehr gut, als wir Pakete bekamen. Und zwar von privaten Organisationen, weil mein Bruder sich darauf stürzte: Corned Beef, Rosinen, Milchpulver und ein paar Schuhe. Aus Amerika kam sogar das Angebot, mich zu adoptieren.“

Musik: New beginning 0‘32

Erzähler:

Zu den wenigen Sternstunden der Nachkommen des 20.Juli zählten Aufenthalte in die Schweiz, die ein Arzt aus Bern anbot und mit dem Britischen Roten Kreuz organisierte. Bereits im Januar 1947 konnten so 20 Kinder von ermordeten Widerständlern zum Aufpäppeln ins Berner Oberland fahren – weitere Transporte folgten.

Erzähler:

Geprägt wurde die Arbeit des Hilfswerks durch ein hohes Maß an Improvisation und Empathie mit den Betroffenen. Durch hektografierte „Rundbriefe“, die sie per Post verschickte, gelang es Geschäftsführerin Renate von Hardenberg, innere Solidarität aufzubauen und unkonventionell zu helfen. Manche Unterstützung klingt für heutige Ohren hemdsärmelig:

Musik: prayer wheel (red.) 0‘34

Zitatorin/Zitator (gemischt, im ‚Verkündungston‘):

„Ein bekannter Chemiker macht den Vorschlag, eventuell einen jungen Mann aus dem Kreise der Hilfsbedürftigen auf Kosten seiner Firma eine Ausbildung als Chemiker zukommen zu lassen. // Kindern, die keine Gelegenheit haben, von zu Hause aus eine höhere Schule besuchen zu können, kann evtl. durch die Geschäftsstelle zu Vergünstigungen bei bestimmten Internaten geholfen werden.“

Erzähler:

Unter den Schülern, die ein solches Angebot erhielten, war auch Jobst Schulze-Büttger, der mit seiner Mutter und einem älteren Bruder in Hildesheim aufwuchs. Seine Mutter habe zunächst gezögert, erzählt Schulze-Büttger. Doch die Gräfin Hardenberg habe sie überredet und ihm ein Stipendium in einer Schule bei Bad Hersfeld besorgt:

O-Ton 11: (Schu-Bü Internat) –

„Die Hermann-Lietz-Schulen sind solche Landschulheime, von Hermann Lietz gegründet –Und ich wollte endlich mal unter Männer und nicht alleine aufwachsen.“

Erzähler:

Akten aus der frühen Bundesrepublik zeigen, wie nötig derlei Hilfe war. Denn die Bürokratie ging äußerst unsensibel mit den Hinterbliebenen des 20.Juli um. Viele Frauen mussten lange um ihre Witwen-Pensionen kämpfen. So teilte die Oberfinanzdirektion München der Witwe des Widerstandskämpfers Rudolf von Marogna-Redwitz im Juli 1951 mit, man habe den Versorgungs-Bescheid aufgehoben. Zur Begründung führte der Beamte ein Gesetz aus der Nazi-Zeit an, dass zum Tod verurteilte Hoch- und Landesverräter keine Pensionszahlungen erhalten könnten. Zitat:

Musik: Political efforts red. 0‘25

Zitator:

„Aus zwingenden Gründen muss deshalb die Zahlung des Unterhaltsbetrages ab sofort eingestellt werden. Es wird ihnen anheim gestellt, unverzüglich beim Staatsministerium der Justiz Antrag auf Aufhebung des Urteils und dessen Folgen zu stellen. Nach Vollzug würde die Zahlung wieder aufgenommen.“

Erzähler:

Weder in den Ländern noch in der ersten Bundesregierung fanden sich anfangs Mehrheiten, Renten- und Pensions-Ansprüche der Hinterbliebenen des 20.Juli 1944 ähnlich großzügig zu regeln wie bei ehemaligen Polizisten und Soldaten der Wehrmacht. Im Oktober 1951 – über sechs Jahre nach Kriegsende! – erreichte das Hilfswerk schließlich eine „Spendenregelung“. Die Bundesregierung zahlte von nun an pauschal eine Summe, die das Hilfswerk unter seinen Bedürftigen verteilen konnte. Als „Almosen“ bezeichneten viele im Hilfswerk das Ergebnis in Mark und Pfennig. Renate von Hardenberg schrieb zu ihrer Verteidigung in einem Brief:

Zitatorin:

„Als ich merkte, dass die Sache nicht gesetzlich geregelt werden sollte, habe ich mich mit aller Energie eingeschaltet und habe das kümmerliche Resultat erreicht, was sie kennen. Alle Proteste müssen durch die Parteien an den Bundesrat gerichtet werden und an die verantwortlichen Herren der Regierung. Ich bitte, mich nicht dafür verantwortlich zu machen, aber auch keine unnötigen Lorbeeren an mich zu verschwenden.“

Musik: Undercover investigations red. 0‘29

Erzähler:

Das zuständige Bundesinnenministerium überwies - wie die Akten zeigen – nie mehr als 400-tausend D-Mark pro Jahr an das Hilfswerk. Alleinstehende Frauen erhielten pro Monat 200 Mark, Mütter von Kindern ohne Einkommen 300 Mark, Studenten 150 Mark – und so weiter - was die Lebensverhältnisse mehr schlecht als recht absicherte. Dass die Spenden-Symbolik dürftig war, wusste die Bonner Politik nur zu gut. Auch deshalb ergriff sie in der Folge öffentlich stärker Partei für den Widerstand gegen den Nationalsozialismus. 1954 hielt erstmals ein Bundespräsident die Gedenkrede zum Jahrestag. Frisch für eine zweite Amtszeit gewählt, versuchte Theodor Heuss in der Berliner Freien Universität – mit Kanzler Adenauer im Publikum – eine Ehrenrettung der Männer des 20.Juli 1944:

O-Ton 12: (Heuss – 1954) –

„Die Scham, in die Hitler uns Deutsche gezwungen hatte, wurde durch ihr Blut vom besudelten deutschen Namen wieder weggewischt. Das Vermächtnis ist noch in Wirksamkeit, die Verpflichtung noch nicht eingelöst.“

Erzähler:

Heuss‘ Rede begründete eine Tradition. An den „runden“ Jahrestagen des gescheiterten Putschversuchs von 1944 sprechen seither regelmäßig führende Repräsentanten unserer Demokratie – entweder im Hinrichtungsschuppen des ehemaligen Gefängnisses Plötzensee, oder im so genannten Bendlerblock, wo sich im Allgemeinen Heeresamt der Wehrmacht die historischen Ereignisse zutrugen. Aus der Sicht der Überlebenden und Nachkommen des 20.Juli 1944 eine wichtige Geste, dass die Bonner Demokratie den Putschversuch zunehmend als Teil des politischen Fundaments der Bundesrepublik verstand. Dass der Widerstand gegen den Nationalsozialismus jedoch weiter ein ‚heißes Eisen‘ war, wurde spätestens 1969 klar, als Gustav Heinemann kurz nach seiner Wahl zum Bundespräsidenten, bei der Feierstunde proklamierte:

O-Ton 13: (Heinemann – 1969) –

„In dieses Gedenken schließen wir alle Widerstandskämpfer ein, die in den Jahren der Diktatur von 1933 bis 1945 in Deutschland und außerhalb Deutschlands, aus welcher Nation und an welchen Orten auch immer das Opfer des Lebens für Recht und Menschenwürde brachten. Wir schließen ebenfalls und ausdrücklich auch alle jene Menschen ein, die im Namen unseres Volkes verfolgt und unter den Taten unseres verführten Volkes gelitten haben.“ Länge: 0‘36

Musik: Secret proofs 0‘42

Erzähler:

Heinemanns versuchter Brückenschlag zu Widerstandsgruppen mit sozialdemokratischem, gewerkschaftlichem oder kommunistischem Hintergrund ging vielen Angehörigen des Hilfswerks jedoch zu weit. Mit den Kindern und Enkeln der Ermordeten führten diejenigen, die den Putschversuch und seine Folgen selbst miterlebt hatten, ab Anfang der 1970er Jahre heftige Debatten zu diesem Thema. Abstand hielt man auch zur DDR, deren stalinistische Ideologen dem 20.Juli 1944 lange nichts abgewinnen konnten – erst 1967 erschien hier eine erste Stauffenberg-Biografie.

Doch für die meisten Nachkommen hat das Datum mit seinen Zeremonien einen ganz anderen Aspekt: Es ist Gelegenheit, den Vätern nahe zu sein. - Axel Smend nahm als 10jähriger erstmals an einer der Veranstaltungen teil. Manche Details der Feier in Plötzensee hat er bis heute vor Augen, vor allem die Predigt von Harald Poelchau, dem ehemaligen Gefängnispfarrer, der viele der Verurteilten in deren letzten Stunden seelsorgerisch betreute:

O-Ton 14: (Smend – Feier 54) –

„Ich hab‘ wahrscheinlich von der Predigt wenig verstanden. Aber ich hab‘ dann doch Poelchau aufgesucht. Und ich habe ihn wahrgenommen als einen ganz bescheidenen, leiste sprechenden Mann. Das Gespräch, das ich mit ihm geführt habe – das hat er mit einem sehr positiven Ausgang abklingen lassen. Das hat mir ungemein gefallen. Länge: 0‘30

Erzähler:

Fester Bestandteil der Gedenkfeiern ist an den „runden“ Jahrestagen auch ein Empfang des Bundespräsidenten in Schloss Bellevue – ein Termin, den nur wenige Angehörige des 20.Juli versäumen. Die Einladung im Jahr 1964 war auch für Jobst Schulze-Büttger, damals junger Offiziersanwärter der Bundeswehr, die erste Gelegenheit, sich für eine Gedenkveranstaltung anzumelden:

O-Ton 15: (Schu-Bü – Bellevue) –

„Und während ich da in der Reihe stand, dreht sich vor mir eine Dame um und sagt: „Ach, Schulze-Büttger - das war die Mutter Meixner. Mein Vater war bei ihm Kompaniechef, bei Meixner in Hameln. Und von da an bin ich dann zu allen 20-ter-Juli-Veranstaltungen gefahren.“

Musik: Absorbed in thought Red. Version 0‘27

Erzähler:

Auch hier: Kein Zufall, sondern ein Muster. Wer einmal in diesem Kreis aufgenommen worden ist, bleibt ihm oft ein Leben lang treu. Dorothea von Plettenberg meint selbstkritisch, ihr Vater habe eigentlich gar nicht zum inneren Kreis der Verschwörer gehört, denn unter deren Anführern waren nicht wenige, die im Herzen der Monarchie nachtrauerten. Trotzdem sagt sie:

O-Ton 16: (Plettenberg – Zusammenhalt und Plötzensee) –

„Wir mögen uns alle, aber die, deren Väter in Plötzensee gehenkt wurden – die sind natürlich für immer verschmolzen als Menschen. Ich kann Plötzensee gar nicht aushalten. Ich war einmal da – ich kann es nicht aushalten – ich – kann – es – nicht.“ Länge: 0‘21

O-Ton 17: (Atmo Bonn) –

Gemurmel/Pause – Königswinterer Tagung Länge: 0‘31

(auf Regiezeichen nach ca. 10 Sekunden langsam blenden, unter Erzähler wegziehen)

Erzähler:

Eine Ahnung von diesem Gemeinschaftsgeist, der an Familientreffen erinnert, spüren Außenstehende alljährlich im Spätwinter. Dann lädt die „Forschungsgemeinschaft 20.Juli 1944“, die Söhne und Töchter in den 1970er Jahren gründeten, zu einer Tagung nach Bonn ein. In den Kaffee-Pausen herrscht ein lautes Hallo wie unter alten Freunden. Längst gehören auch Enkel und Urenkel dazu – eine späte Auswirkung der Ausgrenzung vergangener Jahrzehnte, meint Felicitas von Aretin:

O-Ton 18: (Aretin – Zusammengehörigkeitsgefühl) –

Die Generation der Söhne und Töchter, die hatte ein großes Zusammengehörigkeitsgefühl und das hat sich in Teilen auf die Enkelgeneration übertragen. Aber ich denke, das ist auch wiederum sehr individuell. Länge: 0‘19

Erzähler:

Die Akten des „Hilfswerks“ zeigen: Der Zusammenhalt der jüngeren Generation wurde von Präsidium und Geschäftsführung aktiv gefördert. Sie organisierten bewusst für die Söhne und Töchter Jugendbegegnungen im In- und Ausland. Sogar nach Israel schaffte es eine Gruppe in den 1960er Jahren. Axel Smend betont als Teilnehmer an einigen dieser Begegnungen:

O-Ton 19: (Smend – Jugendtreffen) –

„Und da war das ein besonderes Erlebnis, zum ersten Mal in Paris zu sein, und auch in Brüssel. Und da lernte ich auch die Älteren unseres Kreises kennen. Und sehe heute noch einige, wie die frisch und frei Französisch und Englisch sprachen – und ich mir damals vorgenommen haben: Toll! Das müsste ich eigentlich auch mal erreichen“ Länge: 0‘27

Musik: Network access 0‘24

Erzähler:

Derlei Erlebnisse haben dafür gesorgt, dass das Hilfswerk als Stiftung unter dem Dach der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin bis heute existiert. Als heilsam erwies sich für die Nachfahren des 20.Juli, dass es 1990 die deutsche Einheit gab. Die Nachfahren der Hardenbergs erhielten so ihr Gut Neuhardenberg östlich von Berlin zurück – es wird heute als Tagungsstätte und Hotel genutzt. Dorothea von Plettenberg konnte damals das Grab ihres Vaters Kurt von Plettenberg in Potsdam würdig gestalten:

O-Ton 20: (Plettenberg – Grab) –

„Und dann durften wir da einen Stein aufbauen. Und zwar direkt an einem Ausgang, der nach Sanssouci führt. Was ich ganz nett finde, weil die Verbindung zu den Hohenzollern ja sehr stark war.

Erzähler:

Dorothea von Plettenberg, Axel Smend und andere aus der Kinder- und Enkelgeneration des 20.Juli 1944 berichten heute in Zeitzeugen-Gesprächen in Schulen und Bildungs-Einrichtungen über ihre Väter und ihr Leben. Ob sie so die Jahrzehnte des Schweigens und der Tabuisierung der Vergangenheit wettmachen wollen? Axel Smend nennt seine Begegnungen „bereichernd“, denn die Jugendlichen seien sehr neugierig. Seine Hoffnung ist, dass das Thema Widerstand gegen den Nationalsozialismus so auf der politischen Tagesordnung bleibt. Zweifel hat er, ob es künftig reicht, dass die wichtigsten Repräsentanten der Politik an runden Jahrestagen Reden halten – und denkt laut nach über mögliche modernere Formen des öffentlichen Gedenkens:

Musik: Precision on demand (red) 0‘43

O-Ton 21: (Smend – Reformen) –

„Es hatte mal jemand vorgeschlagen, am 20.Juli einen Lesetag zu machen. Das heißt, dass in allen Schulen Deutschlands Briefe vorgelesen werden von Personen, die zum Tode verurteilt worden sind wegen ihrer Beteiligung am 20.Juli. Ich habe so etwas mal in Frankreich erlebt - das hat mir sehr gefallen. Und ich kann mir gut vorstellen, wenn so etwas durchsetzbar wäre, dass das ein gutes Instrument werde, um die Sache weiterzutragen.“

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Der Staatsstreichversuch vom 20.Juli 1944 gilt heute als Versuch, durch den Tod Hitlers den Zweiten Weltkrieg zu beenden und damit Millionen Zivilisten und Soldaten das Leben zu retten. Doch an dieser Anerkennung hat es lange gefehlt. Die Tat der Verschwörer um Stauffenberg, Tresckow, Beck und andere wurde über Jahrzehnte als Verrat denunziert. Entsprechend schwer hatten es auch Angehörige und Nachkommen, in der deutschen Öffentlichkeit Ansprüche auf Entschädigung geltend zu machen. Von Rainer Volk

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War Oma am Hitler-Attentat vom 20. Juli 1944 beteiligt? Der Autor Thies Marsen ist zunächst sehr skeptisch, als ihm seine Großmutter eröffnet: Sie habe die Aktentasche besorgt, in der Graf von Stauffenbergs Bombe platziert war. Dann taucht er in die Familiengeschichte ein. Was er herausfindet, lässt ihn bis heute nicht los. Von Thies Marsen JETZT ENTDECKEN

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O-Ton 1: (Hitler im Radio, 20.7.1944, Länge: 0’50)

„Deutsche Volksgenossen und -genossinnen. Eine ganz kleine Clique ehrgeiziger, gewissensloser und zugleich unvernünftiger, verbrecherisch-dummer Offiziere hat ein Komplott geschmiedet, um mich zu beseitigen…

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Musik: Dark operation red 0‘43

Erzähler:

Die Nachwirkungen des 20.Juli 1944 beginnen schon in der Nacht jenes Tages - als Hitler im Radio spricht. Seine Diffamierung der Akteure des Umsturzversuchs wirkt noch über Jahrzehnte. Die brutale Rache der Nazis vor Kriegsende 1945 mit hunderten Hinrichtungen, Sippenhaft und Verschleppungen von Angehörigen ist dabei nur ein Aspekt. Das wahre Gift der Sätze Hitlers zeigt sich erst nach der Befreiung vom Nationalsozialismus. Axel Smend ist Jahrgang 1944. Sein Vater, der Oberstleutnant Günther Smend, versuchte seinen Vorgesetzten, den Generalstabschef des Heeres, zu bereden, dem Widerstand beizutreten, Sein Sohn Axel erinnert sich:

O-Ton 2: (Smend-Verräter) –

„Meine Mutter war beim Elternsprechtag. Und sie sprachen auch in irgendeiner Weise über meinen Vater. Ich war immer ein schlechter Schüler. Und dann hat der Lehrer in diesem Zusammenhang meiner Mutter gesagt. Na ja, dann ist es ja kein Wunder, dass Ihr Sohn Axel schlecht in der Schule ist - als Sohn eines Verräters.“ Länge: 0‘23

Erzähler:

Smends Erlebnis ist keineswegs ein Einzelfall. Begriffe wie „Vorbilder“ oder „Helden“ für die Männer und Frauen des 20.Juli 1944 blieben lange die Ausnahme. So fand das Allensbacher Institut für Demoskopie 1951 heraus: 30 Prozent der Deutschen verurteilten den versuchten Staatsstreich weiterhin. Noch einmal so viele wussten nichts von den Geschehnissen oder hatten keine Meinung dazu. Irritiert schrieben die Meinungsforscher:

Musik: Dark figures (red.) 0‘16

Zitator:

„Beinahe die Hälfte aller Leute, die über den 20.Juli mitreden können, sagten über die Verschwörer nur Nachteiliges… Weiter wird ihnen Feigheit vorgeworfen, gelegentlich auch Egoismus.“

Erzähler:

Besonders hartnäckig hielten sich die Verleumdungen im militärischen Milieu - in der Bundeswehr. Das Verteidigungsministerium benannte zwar 1961 die erste Kaserne nach einem der Verschwörer – in Sigmaringen, nach Stauffenberg. Doch Jobst Schulze-Büttger, dessen Vater Georg ein Vertrauter von Henning von Tresckow war - neben Stauffenberg der wichtigste Kopf des berühmten „Unternehmen Walküre“ – berichtet von einem Erlebnis als Offizier Anfang der 1980er Jahre:

O-Ton 3: (Schu-Bü. – Verräter) –

„Wir saßen im Kasino zusammen und hatten das Thema Widerstand. Und man landete im Laufe dieses Gesprächs bei dem Thema natürlich auch „20.Juli“. Und da sagte ein Kompaniechef aus meinem Bataillon: „Das waren alles Verräter.“ Länge: 0‘17

Musik: Coming closer red 0‘36

Erzähler:

Kein Wunder, dass Ehefrauen, Mütter, Söhne und Töchter der Offiziere des 20.Juli 1944 sich abkapselten. Die Familien hatten nach dem gescheiterten Staatsstreich Schreckliches erlebt: Etwa 50 Kinder kamen im Herbst 1944 unter falschen Namen in ein Heim bei Bad Sachsa – manche bis zum Kriegsende. Die Gestapo steckte Dutzende Frauen in Sippenhaft, um herauszufinden, was diese über die Umsturzpläne wussten. Die Folge: In vielen Familien wurde wenig erzählt von den Vätern. Jobst Schulte-Büttger:

O-Ton 4: (Schu-Bü – Beschweigen) –

„Ich habe meine Mutter und meinen Bruder nie gefragt. Irgendwie habe ich gespürt, dass da was war. Und ich ihnen im Grunde genommen nicht zumuten wollte, mir auf eine Frage, von der ich das Gefühl hatte, dass es für sie ein Problem ist, zu antworten.

Musik: Strictly confidential 0‘41

Erzähler:

In Gesprächen mit den Kindern der Umstürzler vom 20.Juli 1944 finden sich aber auch Aussagen, die ein anderes Extrem andeuten: Die Verklärung des Vaters. Kurt von Plettenberg war 1944 Generalbevollmächtigter der Hohenzollern-Familie und des Fürstenhauses Schaumburg-Lippe. Er wusste von den Putsch-Plänen und stürzte sich, nachdem er dem Verhör-Beamten der Gestapo einen Boxhieb verpasst hatte, aus dem Fenster des Berliner Gestapo-Gebäudes in den Tod. Seine Tochter Dorothea, Jahrgang 1944 erinnert sich:

O-Ton 5: (Plettenberg – Vater Heiliger) –

„Mein Vater war so der Heilige und wurde ständig überall so gelobt. Das war eine Sache, an die ich gewöhnt war.“ Länge: 0‘14

Erzähler:

Derlei Schilderungen lassen sich nur schwer generalisieren. Felicitas von Aretin, Historikerin und ebenfalls Nachfahrin von Widerstandskämpfern, hat für ihr Buch „Die Enkel des 20.Juli“ Befragungen durchgeführt. Für sie sind die Witwen Dreh- und Angelpunkt in der Familienüberlieferung:

O-Ton 6: (Aretin – Witwen-Rolle) –

Wenn Witwen eben sehr viel über ihre Erlebnisse oder Gefühle sprechen konnten mit ihren Kindern, dann hat sich das meistens auch sehr positiv ausgewirkt, weil eine Verarbeitung stattgefunden hat. Weil hingegen, wenn die Witwen sozusagen gar nichts erzählt haben, dann war das für die Kindergeneration natürlich schon viel schwieriger. Und damit, versetzt, auch für die Enkel-Generation.“ Länge: 0‘25

Musik: Obscure intrigue red. 0‘47

Erzähler:

Teilweise erklärt sich die komplizierte Lage durch die Weltpolitik der Nachkriegszeit. 1947 begann der Kalte Krieg zwischen Amerikanern und Sowjets. Das trieb die deutsche Teilung in West und Ost voran und erschwerte den Alltag der Witwen, Eltern und Kinder weiter. Viele flohen aus der sowjetisch besetzten Zone in den Westen, verloren so ihren Besitz im Osten. Zur Diffamierung kam ein sozialer Abstieg hinzu. Axel Smends Mutter hatten die Nazis noch vor Kriegsende das Wohnrecht in ihrer Offizierswohnung in Lüneburg entzogen. Das provisorische Hausen in zwei oder drei Zimmern sei weniger schlimm gewesen als die finanziellen Schwierigkeiten seiner Mutter, meint Axel Smend im Rückblick.

O-Ton 8: (Smend – Verhältnisse) –

„Es ging eigentlich mehr um Wie kann man sich finanzieren? Sie hat, glaube ich, sehr viele Tauschgeschäfte gemacht. Also: Sachen verkauft, um dafür Geld zu haben – und um dafür dann Lebensmittel zu kaufen.“ Länge: 0‘26

Erzähler:

Unterstützung erhielten Witwen, Mütter, Kinder und Verwandte durch das „Hilfswerk 20.Juli 1944 e.V.“ - das bis heute kaum bekannt ist. Der Freundeskreis gründete sich im Herbst 1945 - vor allem auf Initiative des Juristen Fabian von Schlabrendorff und des Ehepaars Carl-Hans und Renate von Hardenberg. Schlabrendorff und Hardenberg hatten als Offiziere im Umkreis von Henning von Tresckow Attentats-Pläne mit entworfen und nach deren Scheitern diverse Konzentrationslager nur knapp überlebt. Anhand einer Liste der Angehörigen, die Schlabrendorff erstellte, kümmerte sich das Hilfswerk unbürokratisch um die Überlebenden des militärischen Widerstands.

Musik: Ich bin zurückgeblieben 0‘29

Erzähler:

In der Trümmergesellschaft der Halbwaisen, jung Verwitweten und Ausgebombten – hier in einem satirischen Chanson beschrieben – war Unterstützung für die Hinterbliebenen des 20.Juli 1944 besonders dringlich. Die Evangelische Kirche in Deutschland gab mit ihrer Hilfswerks-Organisation, die der Widerständler und spätere Bundestagspräsident Eugen Gerstenmaier leitete, was möglich war. Fundamental aber waren bis Anfang der 1950er Jahre ausländische Gönner – vor allem karikative Organisationen in den USA und Großbritannien. Was er an Spenden erhielt, ist Axel Smend und anderen im Gedächtnis geblieben:

O-Ton 10: (Smend – Pakete) –

„Ich erinnere mich sehr gut, als wir Pakete bekamen. Und zwar von privaten Organisationen, weil mein Bruder sich darauf stürzte: Corned Beef, Rosinen, Milchpulver und ein paar Schuhe. Aus Amerika kam sogar das Angebot, mich zu adoptieren.“

Musik: New beginning 0‘32

Erzähler:

Zu den wenigen Sternstunden der Nachkommen des 20.Juli zählten Aufenthalte in die Schweiz, die ein Arzt aus Bern anbot und mit dem Britischen Roten Kreuz organisierte. Bereits im Januar 1947 konnten so 20 Kinder von ermordeten Widerständlern zum Aufpäppeln ins Berner Oberland fahren – weitere Transporte folgten.

Erzähler:

Geprägt wurde die Arbeit des Hilfswerks durch ein hohes Maß an Improvisation und Empathie mit den Betroffenen. Durch hektografierte „Rundbriefe“, die sie per Post verschickte, gelang es Geschäftsführerin Renate von Hardenberg, innere Solidarität aufzubauen und unkonventionell zu helfen. Manche Unterstützung klingt für heutige Ohren hemdsärmelig:

Musik: prayer wheel (red.) 0‘34

Zitatorin/Zitator (gemischt, im ‚Verkündungston‘):

„Ein bekannter Chemiker macht den Vorschlag, eventuell einen jungen Mann aus dem Kreise der Hilfsbedürftigen auf Kosten seiner Firma eine Ausbildung als Chemiker zukommen zu lassen. // Kindern, die keine Gelegenheit haben, von zu Hause aus eine höhere Schule besuchen zu können, kann evtl. durch die Geschäftsstelle zu Vergünstigungen bei bestimmten Internaten geholfen werden.“

Erzähler:

Unter den Schülern, die ein solches Angebot erhielten, war auch Jobst Schulze-Büttger, der mit seiner Mutter und einem älteren Bruder in Hildesheim aufwuchs. Seine Mutter habe zunächst gezögert, erzählt Schulze-Büttger. Doch die Gräfin Hardenberg habe sie überredet und ihm ein Stipendium in einer Schule bei Bad Hersfeld besorgt:

O-Ton 11: (Schu-Bü Internat) –

„Die Hermann-Lietz-Schulen sind solche Landschulheime, von Hermann Lietz gegründet –Und ich wollte endlich mal unter Männer und nicht alleine aufwachsen.“

Erzähler:

Akten aus der frühen Bundesrepublik zeigen, wie nötig derlei Hilfe war. Denn die Bürokratie ging äußerst unsensibel mit den Hinterbliebenen des 20.Juli um. Viele Frauen mussten lange um ihre Witwen-Pensionen kämpfen. So teilte die Oberfinanzdirektion München der Witwe des Widerstandskämpfers Rudolf von Marogna-Redwitz im Juli 1951 mit, man habe den Versorgungs-Bescheid aufgehoben. Zur Begründung führte der Beamte ein Gesetz aus der Nazi-Zeit an, dass zum Tod verurteilte Hoch- und Landesverräter keine Pensionszahlungen erhalten könnten. Zitat:

Musik: Political efforts red. 0‘25

Zitator:

„Aus zwingenden Gründen muss deshalb die Zahlung des Unterhaltsbetrages ab sofort eingestellt werden. Es wird ihnen anheim gestellt, unverzüglich beim Staatsministerium der Justiz Antrag auf Aufhebung des Urteils und dessen Folgen zu stellen. Nach Vollzug würde die Zahlung wieder aufgenommen.“

Erzähler:

Weder in den Ländern noch in der ersten Bundesregierung fanden sich anfangs Mehrheiten, Renten- und Pensions-Ansprüche der Hinterbliebenen des 20.Juli 1944 ähnlich großzügig zu regeln wie bei ehemaligen Polizisten und Soldaten der Wehrmacht. Im Oktober 1951 – über sechs Jahre nach Kriegsende! – erreichte das Hilfswerk schließlich eine „Spendenregelung“. Die Bundesregierung zahlte von nun an pauschal eine Summe, die das Hilfswerk unter seinen Bedürftigen verteilen konnte. Als „Almosen“ bezeichneten viele im Hilfswerk das Ergebnis in Mark und Pfennig. Renate von Hardenberg schrieb zu ihrer Verteidigung in einem Brief:

Zitatorin:

„Als ich merkte, dass die Sache nicht gesetzlich geregelt werden sollte, habe ich mich mit aller Energie eingeschaltet und habe das kümmerliche Resultat erreicht, was sie kennen. Alle Proteste müssen durch die Parteien an den Bundesrat gerichtet werden und an die verantwortlichen Herren der Regierung. Ich bitte, mich nicht dafür verantwortlich zu machen, aber auch keine unnötigen Lorbeeren an mich zu verschwenden.“

Musik: Undercover investigations red. 0‘29

Erzähler:

Das zuständige Bundesinnenministerium überwies - wie die Akten zeigen – nie mehr als 400-tausend D-Mark pro Jahr an das Hilfswerk. Alleinstehende Frauen erhielten pro Monat 200 Mark, Mütter von Kindern ohne Einkommen 300 Mark, Studenten 150 Mark – und so weiter - was die Lebensverhältnisse mehr schlecht als recht absicherte. Dass die Spenden-Symbolik dürftig war, wusste die Bonner Politik nur zu gut. Auch deshalb ergriff sie in der Folge öffentlich stärker Partei für den Widerstand gegen den Nationalsozialismus. 1954 hielt erstmals ein Bundespräsident die Gedenkrede zum Jahrestag. Frisch für eine zweite Amtszeit gewählt, versuchte Theodor Heuss in der Berliner Freien Universität – mit Kanzler Adenauer im Publikum – eine Ehrenrettung der Männer des 20.Juli 1944:

O-Ton 12: (Heuss – 1954) –

„Die Scham, in die Hitler uns Deutsche gezwungen hatte, wurde durch ihr Blut vom besudelten deutschen Namen wieder weggewischt. Das Vermächtnis ist noch in Wirksamkeit, die Verpflichtung noch nicht eingelöst.“

Erzähler:

Heuss‘ Rede begründete eine Tradition. An den „runden“ Jahrestagen des gescheiterten Putschversuchs von 1944 sprechen seither regelmäßig führende Repräsentanten unserer Demokratie – entweder im Hinrichtungsschuppen des ehemaligen Gefängnisses Plötzensee, oder im so genannten Bendlerblock, wo sich im Allgemeinen Heeresamt der Wehrmacht die historischen Ereignisse zutrugen. Aus der Sicht der Überlebenden und Nachkommen des 20.Juli 1944 eine wichtige Geste, dass die Bonner Demokratie den Putschversuch zunehmend als Teil des politischen Fundaments der Bundesrepublik verstand. Dass der Widerstand gegen den Nationalsozialismus jedoch weiter ein ‚heißes Eisen‘ war, wurde spätestens 1969 klar, als Gustav Heinemann kurz nach seiner Wahl zum Bundespräsidenten, bei der Feierstunde proklamierte:

O-Ton 13: (Heinemann – 1969) –

„In dieses Gedenken schließen wir alle Widerstandskämpfer ein, die in den Jahren der Diktatur von 1933 bis 1945 in Deutschland und außerhalb Deutschlands, aus welcher Nation und an welchen Orten auch immer das Opfer des Lebens für Recht und Menschenwürde brachten. Wir schließen ebenfalls und ausdrücklich auch alle jene Menschen ein, die im Namen unseres Volkes verfolgt und unter den Taten unseres verführten Volkes gelitten haben.“ Länge: 0‘36

Musik: Secret proofs 0‘42

Erzähler:

Heinemanns versuchter Brückenschlag zu Widerstandsgruppen mit sozialdemokratischem, gewerkschaftlichem oder kommunistischem Hintergrund ging vielen Angehörigen des Hilfswerks jedoch zu weit. Mit den Kindern und Enkeln der Ermordeten führten diejenigen, die den Putschversuch und seine Folgen selbst miterlebt hatten, ab Anfang der 1970er Jahre heftige Debatten zu diesem Thema. Abstand hielt man auch zur DDR, deren stalinistische Ideologen dem 20.Juli 1944 lange nichts abgewinnen konnten – erst 1967 erschien hier eine erste Stauffenberg-Biografie.

Doch für die meisten Nachkommen hat das Datum mit seinen Zeremonien einen ganz anderen Aspekt: Es ist Gelegenheit, den Vätern nahe zu sein. - Axel Smend nahm als 10jähriger erstmals an einer der Veranstaltungen teil. Manche Details der Feier in Plötzensee hat er bis heute vor Augen, vor allem die Predigt von Harald Poelchau, dem ehemaligen Gefängnispfarrer, der viele der Verurteilten in deren letzten Stunden seelsorgerisch betreute:

O-Ton 14: (Smend – Feier 54) –

„Ich hab‘ wahrscheinlich von der Predigt wenig verstanden. Aber ich hab‘ dann doch Poelchau aufgesucht. Und ich habe ihn wahrgenommen als einen ganz bescheidenen, leiste sprechenden Mann. Das Gespräch, das ich mit ihm geführt habe – das hat er mit einem sehr positiven Ausgang abklingen lassen. Das hat mir ungemein gefallen. Länge: 0‘30

Erzähler:

Fester Bestandteil der Gedenkfeiern ist an den „runden“ Jahrestagen auch ein Empfang des Bundespräsidenten in Schloss Bellevue – ein Termin, den nur wenige Angehörige des 20.Juli versäumen. Die Einladung im Jahr 1964 war auch für Jobst Schulze-Büttger, damals junger Offiziersanwärter der Bundeswehr, die erste Gelegenheit, sich für eine Gedenkveranstaltung anzumelden:

O-Ton 15: (Schu-Bü – Bellevue) –

„Und während ich da in der Reihe stand, dreht sich vor mir eine Dame um und sagt: „Ach, Schulze-Büttger - das war die Mutter Meixner. Mein Vater war bei ihm Kompaniechef, bei Meixner in Hameln. Und von da an bin ich dann zu allen 20-ter-Juli-Veranstaltungen gefahren.“

Musik: Absorbed in thought Red. Version 0‘27

Erzähler:

Auch hier: Kein Zufall, sondern ein Muster. Wer einmal in diesem Kreis aufgenommen worden ist, bleibt ihm oft ein Leben lang treu. Dorothea von Plettenberg meint selbstkritisch, ihr Vater habe eigentlich gar nicht zum inneren Kreis der Verschwörer gehört, denn unter deren Anführern waren nicht wenige, die im Herzen der Monarchie nachtrauerten. Trotzdem sagt sie:

O-Ton 16: (Plettenberg – Zusammenhalt und Plötzensee) –

„Wir mögen uns alle, aber die, deren Väter in Plötzensee gehenkt wurden – die sind natürlich für immer verschmolzen als Menschen. Ich kann Plötzensee gar nicht aushalten. Ich war einmal da – ich kann es nicht aushalten – ich – kann – es – nicht.“ Länge: 0‘21

O-Ton 17: (Atmo Bonn) –

Gemurmel/Pause – Königswinterer Tagung Länge: 0‘31

(auf Regiezeichen nach ca. 10 Sekunden langsam blenden, unter Erzähler wegziehen)

Erzähler:

Eine Ahnung von diesem Gemeinschaftsgeist, der an Familientreffen erinnert, spüren Außenstehende alljährlich im Spätwinter. Dann lädt die „Forschungsgemeinschaft 20.Juli 1944“, die Söhne und Töchter in den 1970er Jahren gründeten, zu einer Tagung nach Bonn ein. In den Kaffee-Pausen herrscht ein lautes Hallo wie unter alten Freunden. Längst gehören auch Enkel und Urenkel dazu – eine späte Auswirkung der Ausgrenzung vergangener Jahrzehnte, meint Felicitas von Aretin:

O-Ton 18: (Aretin – Zusammengehörigkeitsgefühl) –

Die Generation der Söhne und Töchter, die hatte ein großes Zusammengehörigkeitsgefühl und das hat sich in Teilen auf die Enkelgeneration übertragen. Aber ich denke, das ist auch wiederum sehr individuell. Länge: 0‘19

Erzähler:

Die Akten des „Hilfswerks“ zeigen: Der Zusammenhalt der jüngeren Generation wurde von Präsidium und Geschäftsführung aktiv gefördert. Sie organisierten bewusst für die Söhne und Töchter Jugendbegegnungen im In- und Ausland. Sogar nach Israel schaffte es eine Gruppe in den 1960er Jahren. Axel Smend betont als Teilnehmer an einigen dieser Begegnungen:

O-Ton 19: (Smend – Jugendtreffen) –

„Und da war das ein besonderes Erlebnis, zum ersten Mal in Paris zu sein, und auch in Brüssel. Und da lernte ich auch die Älteren unseres Kreises kennen. Und sehe heute noch einige, wie die frisch und frei Französisch und Englisch sprachen – und ich mir damals vorgenommen haben: Toll! Das müsste ich eigentlich auch mal erreichen“ Länge: 0‘27

Musik: Network access 0‘24

Erzähler:

Derlei Erlebnisse haben dafür gesorgt, dass das Hilfswerk als Stiftung unter dem Dach der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin bis heute existiert. Als heilsam erwies sich für die Nachfahren des 20.Juli, dass es 1990 die deutsche Einheit gab. Die Nachfahren der Hardenbergs erhielten so ihr Gut Neuhardenberg östlich von Berlin zurück – es wird heute als Tagungsstätte und Hotel genutzt. Dorothea von Plettenberg konnte damals das Grab ihres Vaters Kurt von Plettenberg in Potsdam würdig gestalten:

O-Ton 20: (Plettenberg – Grab) –

„Und dann durften wir da einen Stein aufbauen. Und zwar direkt an einem Ausgang, der nach Sanssouci führt. Was ich ganz nett finde, weil die Verbindung zu den Hohenzollern ja sehr stark war.

Erzähler:

Dorothea von Plettenberg, Axel Smend und andere aus der Kinder- und Enkelgeneration des 20.Juli 1944 berichten heute in Zeitzeugen-Gesprächen in Schulen und Bildungs-Einrichtungen über ihre Väter und ihr Leben. Ob sie so die Jahrzehnte des Schweigens und der Tabuisierung der Vergangenheit wettmachen wollen? Axel Smend nennt seine Begegnungen „bereichernd“, denn die Jugendlichen seien sehr neugierig. Seine Hoffnung ist, dass das Thema Widerstand gegen den Nationalsozialismus so auf der politischen Tagesordnung bleibt. Zweifel hat er, ob es künftig reicht, dass die wichtigsten Repräsentanten der Politik an runden Jahrestagen Reden halten – und denkt laut nach über mögliche modernere Formen des öffentlichen Gedenkens:

Musik: Precision on demand (red) 0‘43

O-Ton 21: (Smend – Reformen) –

„Es hatte mal jemand vorgeschlagen, am 20.Juli einen Lesetag zu machen. Das heißt, dass in allen Schulen Deutschlands Briefe vorgelesen werden von Personen, die zum Tode verurteilt worden sind wegen ihrer Beteiligung am 20.Juli. Ich habe so etwas mal in Frankreich erlebt - das hat mir sehr gefallen. Und ich kann mir gut vorstellen, wenn so etwas durchsetzbar wäre, dass das ein gutes Instrument werde, um die Sache weiterzutragen.“

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